Folkwang

Folkwang trauert um Daniel Goldin

Der Choreograph und ehemalige Tänzer des Folkwang Tanzstudios ist im Alter von nur 66 Jahren verstorben

 

Die Folkwang Universität der Künste trauert um Daniel Goldin, der bereits am 11. August im Alter von nur 66 Jahren verstarb.

 

Der aus Argentinien stammende Goldin kam 1987 nach Deutschland. Er wurde Tänzer des Folkwang Tanzstudios und arbeitete u. a. mit Größen wie Pina Bausch, Carolyn Carlson, Urs Dietrich, Raffaella Giordano oder Susanne Linke zusammen, was auch seine erfolgreiche choreographische Laufbahn prägte.

 

Melanie Suchy, Lehrbeauftragte für das Fach „Tanz aktuell“ an der Folkwang Universität der Künste, erinnert sich in einem persönlichen Nachruf an den Menschen Daniel Goldin und sein künstlerisches Schaffen an und über Folkwang hinaus.

Daniel Goldin c Bettina Stöß

Foto: Bettina Stöß

 

Auf der Suche nach tanzenden Bildern


Daniel Goldin ist gestorben, am 11. August 2024. Er wurde 66 Jahre alt. Der argentinische Choreograf und Tänzer war der Folkwang Universität der Künste sehr verbunden.


Zuletzt hatte er 2018 mit Studierenden des Instituts für Zeitgenössischen Tanz (IZT) Teile seiner Werke einstudiert, die sie im Sommer unter dem Titel „Fragmentos“ bei ihrem Tanzabend aufführten. Als „gewissenhaft und begeistert“ beschreibt Prof. Dr. Stephan Brinkmann, der Leiter des IZT, Goldins zugewandte Arbeit mit jungen Tänzer*innen. 2018 tanzte Goldin noch selbst ein von ihm choreografiertes Solo bei einer internen Feier im Pina Bausch Theater zum siebzigsten Geburtstag der damaligen Institutsleiterin Malou Airaudo. Für das Folkwang Tanzstudio (FTS) hatte er in früheren Jahren „Fata Morgana“ und „Esperas“ geschaffen. Im Oktober tanzten Absolvent*innen des IZT bei der Gala zur Verleihung des Deutschen Tanzpreises Ausschnitte aus Goldins Choreografie „Stimmen, Hände, brüchige Stille“, deren Bewegungsimpulse sich wie aus der Bildwelt der Künstlerin Käthe Kollwitz herauszuschälen scheinen.


Dieser wunderbare Titel steht vielleicht symptomatisch für das künstlerische Schaffen des Choreografen, der Deutschlands Tanzgeschichte mitprägte, spätestens seitdem er als Chefchoreograf das Tanztheater Münster an den Städtischen Bühnen leitete, von 1996 bis 2012. Überregional wurde er geachtet als Choreograf, der sich in der Tradition des Tanztheaters von Pina Bausch, Susanne Linke und Reinhild Hoffmann positionierte und mit einer eigenen Stimme und Handschrift bereicherte. Regelmäßig, auch ein Zeichen seiner Verbundenheit, engagierte er Absolvent*innen der Tanzabteilung der Folkwang Universität der Künste oder ehemalige FTS-Mitglieder für sein Ensemble. Über dreißig Stücke schuf er in diesen sechzehn Jahren in Münster gemeinsam mit den Tänzer*innen. Es entstanden abendfüllende Arbeiten wie „Lachrimae mundi“, „Winterreise“, „Dichter.Liebe“ und „Der Tod und das Mädchen“. Seine eigene Bildersprache entfaltete er mit seiner kontinuierlich wachsenden Kompanie und engen Mitarbeiter*innen in „Tagelang und Nächtelang“ über die Kafka-Geliebte Milena Jesenská und „In Öl und Nebel“, dem Maler Felix Nussbaum gewidmet. Er pflegte am Stadttheater sein Repertoire, damit die Tänzer*innen mit den Stücken wachsen konnten.


Daniel Goldin wurde 1958 in Buenos Aires geboren, in eine Familie jüdischer Auswanderer aus der Ukraine und Bessarabien. Er absolvierte sein Abitur 1976 am Colegio Nacional de Buenos Aires, „während der Militärdiktatur in Argentinien, eine besondere Zeit an einem besonderen Ort. Er hat öffentlich nicht viel darüber geredet“, schreibt sein Lebenspartner Matthias Dietrich. Was nicht hieß, dass er sich nicht erinnerte an die für viele Argentinier*innen lebensbedrohlichen Jahre. Diese Bewegtheit war denn auch Thema vieler seiner späteren Choreografien. Seine Erinnerungen, seinen Schmerz und seine Sehnsüchte an die Stadt Buenos Aires verarbeitete er 1999 in der Nocturne „Hinter der Nacht".


Goldin studierte an der Schule des Teatro San Martín. In Buenos Aires arbeitete er in der freien Gruppe NUCLEODANZA unter Leitung von Margarita Bali und Susana Tambutti. Er tanzte als Mitglied in der Grupo de Danza Contemporánea del Teatro Municipal General San Martín unter der Leitung von Mauricio Wainrot und ging mit dieser auf internationale Gastspielreisen. Drei seiner Lehrerinnen waren ihm besonders wichtig: Cristina Barnils, Susana Ibañez und Renate Schottelius; sie wiesen ihm den Weg nach Deutschland und nach Essen-Werden. Dazu kamen die Gastspiele des Tanztheaters Wuppertal, des FTS und von Susanne Linke in Argentinien, die er besuchte. Sie hatten ihn früh nachhaltig beeindruckt.


Schon für eine seiner ersten Choreografien, das Duett „La Peregrinación” (Die Wallfahrt), erhielt Goldin 1986 den ersten Preis beim „7° Concurso Coca-Cola en las Artes y las Ciencias de Argentina“. Mit dem Preisgeld reiste er nach Deutschland. Er wurde Tänzer im Folkwang Tanzstudio und erlebte, wie Carolyn Carlson, Urs Dietrich, Raffaella Giordano und Susanne Linke dort Choreografien schufen. Im Wuppertaler Tanztheater tanzte er in diesen Jahren als Gast in Werken von Pina Bausch.


Als Choreograf war er damals weiterhin tätig. Das Duett „La Sombra y la Luna“ (Der Schatten und der Mond) war 1992 Goldins erste freie Produktion in Deutschland und gewann den ersten Preis beim internationalen Choreografie-Wettbewerb „Città di Cagliari”.  Mit dem choreografischen Roman „Papirene Kinder“ in Koproduktion mit Belgien und Frankreich kam dann schließlich der Durchbruch.


Nach dem Ende seines Engagements in Münster erarbeitete Daniel Goldin als Gastchoreograf für die Tanzcompagnie am Stadttheater Gießen 2013 das ortsspezifische „Von den Winden“; 2018 studierte er die Duette „Cuentos del Camino – Wegerzählungen“ erneut dort ein. Für das Ballet Contemporáneo del San Martín, zu dem er die Verbindung stets gehalten hatte, choreografierte er 2013 „oscuras golondrinas“ und 2016 „Pequeños retratos“ für die Compañía de Danza de la Universidad Nacional de las Artes. 2017 choreografierte er im Auftrag des Festivals Rojas Danza das Duett „Sueños rojos“ (Rote Träume) in Buenos Aires.


Einen Eindruck von den Bühnenwerken und den Gedanken des Künstlers dazu vermitteln journalistische Artikel, welche die Webseite von Goldin zugänglich macht. Hier seien empfohlen der Porträt-Artikel von Katja Schneider von 1996 und das Interview von Laura Falcoff von 2019.


Matthias Dietrich, der nicht nur Daniel Goldins Lebenspartner, sondern auch sein künstlerischer Begleiter und Bühnenbildner war, schreibt: „Ein Pakt mit der Geschichte Argentiniens und seiner neuen Heimat Deutschland bestand für Daniel bis zu seinem Lebensende. Diese starke Verbundenheit, die gelebten Werte, formte seine Liebe zu den Menschen, den Tänzer*innen, den Studierenden, seine Liebe für das Experimentieren, das Proben und Lehren im Ballettsaal und seine Liebe für den Tanz."


Melanie Suchy | Freie Tanzjournalistin, Lehrauftrag „Tanz aktuell“ am IZT


https://www.daniel-goldin.de

 

 

 

 

04. September 2024