Folkwang

Die Schichten der Geschichte

Abschlussarbeit »Kratzendes Beschreiben« von Jakob Forster in der galerie52

Die galerie52 ist seit 2011 eine feste Adresse für Folkwang Studierende der Studiengänge Fotografie und Kommunikationsdesign (mit dem Studienschwerpunkt Illustration), die hier fernab der universitären Werkstätten einen Platz haben, an dem sie arbeiten und darüber hinaus ihre Projekte der Öffentlichkeit präsentieren können.

Abschlussarbeit von Jakob Forster in der galerie 52 (Foto: Jakob Forster)
Abschlussarbeit von Jakob Forster in der galerie 52 (Foto: Mona Leinung)
Abschlussarbeit von Jakob Forster in der galerie 52 (Foto: Jakob Forster)

 

Es ist ein kleiner Freiraum und dabei ein Ort, der so unprätentiös daherkommt wie das Ruhgebiet selbst. Wer sich hineintraut in dieses unscheinbare ehemalige Bürogebäude in der Viehoferstr. 52, mit Teppichböden und Raufasertapete, tiefen Decken und muffigem Geruch, der wird wider allen Erwartungen inspiriert und erfrischt heraus kommen. Die verteilten Ateliers auf den verwinkelten Fluren, vertiefte Gespräche zwischen den Räumen und der Geruch von Farbe, Holz und Kaffee verleihen diesem Ort einen eigentümlich konzentrierten und experimentellen Charakter. Neben der intensiven Arbeitsatmosphäre wird in den weiß gestrichenen Galerieräumen in der 5. Etage immer wieder zu Ausstellungen eingeladen.

Diesmal führt StudiScout Mona Leinung die Bachelor-Präsentation von Jakob Forster in die Räumlichkeiten, der seine Abschlussarbeit »Kratzendes Beschreiben« vor seinen ProfessorInnen, PrüferInnen und interessierten KommillitonInnen verteidigt.

Die 14 Drucke in normiertem Buchseiten-Format, die jeweils zwischen zwei matte Glasscheiben gepresst an Präparate aus der Biologie erinnern, hat der Fotografie-Student akkurat aber luftig über den Galerieraum verteilt gehängt. Sehr konzentriert beginnt er seinen Vortrag und erzählt vor allem von Technik und Arbeitsprozess: in alten Büchern habe er interessante Abbildungen und Texte gesucht, auf die er analog einwirken wollte. Dazu hat er Informationen ausgekratzt, mit Schleifstein bearbeitet und neue Elemente beispielsweise mit einem Sandstrahler, der mit Luftdrucktechnik betrieben wird, wieder aufgetragen. Bestimmte Worte oder Fragmente der ursprünglichen Buchseite hat er so hervorgehoben, andere zum Verschwinden gebracht und wieder andere mit neuen Zeichnungen kombiniert. Auf ein und demselben Papier entsteht ein spannender Dialog zwischen Leerstellen, Gewesenem und Neuem. Dabei hat sich Jakob einer Technik bedient, die alles andere ist als zeitgemäß: bereits in der Antike hat man aus Ressourcenmangel alte Manuskriptseiten oder -rollen durch Schaben oder Waschen gereinigt, um sie danach wieder neu beschreiben zu können. Dabei konnten die Spuren der Originaltexte nie ganz ausgelöscht werden, viele antike und mittelalterliche Texte sind sogar nur noch als ‚Schrift unter der Schrift’ überliefert.

Das Auskratzen und Auswaschen komme vielleicht einer Verletzung gleich, bemerkt Jakob selbstkritisch während seines kleinen Vortrags, immerhin beschädige er das Ursprungsmaterial, politisch könnte man sogar von einer Zensur sprechen. Dabei kommen seine Arbeiten alles andere als radikal oder zerstörerisch daher: sie sind ein zaghaftes, sehr filigranes Zusammenwirken von Vergangenem und Gegenwärtigem und ihre zurückhaltende Anmutung verlangt einen sehr nahen und langen Einblick. In dieser Feinheit liefert uns seine Arbeit vielleicht auch einen neuen Blick auf Geschichtlichkeit: Was in den Büchern unserer Bibliotheken verwahrt wird, erweckt den Eindruck einer abgeschlossenen Erzählung von Wissen, die Grundlage dessen, was in der Zukunft über uns gewusst wird. In der Postmoderne hat man längst von diesen Meta-Erzählungen Abstand genommen und anerkannt, dass es stets sich widersprechende, divergierende und kreuzende Verflechtungen von Wahrheit gibt. Eine Ahnung von diesen Widersprüchen und Verflechtungen bekommen wir in der Spurensuche, die Jakob mit »Kratzendes Beschreiben« betreibt. Und einen Anreiz, das Vergangene nicht in abgeschlossener Verwahrung zu halten, sondern  - wie in diesem Fall - verspielt und poetisch darauf zu reagieren.

Ob das ‚Beschreiben’ im Titel auch eine zweite Bedeutungsebene habe – nicht im Sinne von Papier beschreiben, sondern die Welt beschreiben–, will seine Professorin zum Schluss wissen. Das könne er nicht sagen, meint Jakob scherzhaft, von der Welt außerhalb des Ateliers habe er in letzter Zeit wenig gesehen. Nach dem heutigen Tag wird er allerdings wie viele AbsolventInnen der Studiengänge Fotografie und Kommunikationsdesign die Folkwang Universität der Künste verlassen und in die Welt hinaus strömen – und auch die galerie52 wird nicht mehr lange hier bleiben: Mit dem geplanten Umzug des Fachbereichs in den Neubau auf dem Folkwang Campus Zollverein werden dort auch neue Arbeits-und Ausstellungsräume eröffnen. Dann werden wir weiterhin die Möglichkeit haben künstlerische Arbeiten der Studierenden zu sehen. Wahrscheinlich in sehr viel adäquateren Räumlichkeiten- sicher aber auch in weniger charmanter ungeschliffener Atmosphäre. Da kann man fast ein wenig sentimental werden.

Die kommenden Termine für die Ausstellungen im Sommersemester 2017 in der galerie52 findet ihr auf galerie52.folkwang-uni.de

Ein Beitrag im Rahmen des Projekts „Folkwang StudiScouts“.

 

Mona Leinung / 12. April 2017