_Die Vorträge
Kleine Begriffsgeschichte der Funktion | Laura Hummernbrum
Funktion ist ein Begriff, der in zahlreichen wissenschaftlichen Disziplinen Verwendung findet. In den exemplarisch betrachteten Disziplinen der Mathematik, Philosophie und Biologie erfährt der Begriff von der frühen Neuzeit bis zur Gegenwart vielfältige Konnotationen, die sich nur schwer als ein komprimiertes Ganzes zusammenfügen lassen. Das spezifische Vokabular der Beschreibung streift Begriffe wie Abhängigkeitsbeziehung, Eindeutigkeit oder Zuordnung. Interessanterweise lassen sich die interdisziplinären Charakteristika oftmals auf den ästhetischen Bereich übertragen und stoßen hier zu weiteren Überlegungen an.
„Festigkeit, Zweckmäßigkeit, Anmut“ – Grundgedanken Vitruvs | Tobias Ellinger
In dem vor über 2000 Jahre verfassten Traktat De Architectura libri decem („Zehn Bücher über Architektur“) fasste der Römer Polio Marcus Vitruvus, kurz Vitruv, seine Gedanken zu einer Architekturtheorie zusammen. Er widmete sein Werk dem römischen Kaiser Augustus und der Zeit in der er lebte. Mit Hilfe der Fokussierung auf die Wissenschaft strebte Vitruv an, die Stellung der Architektur und damit sein eigenes Ansehen als Architekt auf eine höhere Stufe zu befördern. Bernhard E. Bürdek betont den humanen Funktionalismus bei Vitruv, da der Mensch, von dem alles abgeleitet wird, im Mittelpunkt der Gestaltung stehe. Deutlich zeigt sich das an dem vitruvianischen Menschen, der in die vollkommene Form des Kreises und Quadrats eingepasst ist und an dem Prinzip des modulus, den wir später bei Le Corbusier im Modulor wiederfinden. Hans Joachim Fritz betont bei seiner Deutung den Begriff des Decor, welcher übersetzt „Schönheit“, aber auch „Angemessenheit“ bedeutet. Er sieht Vitruvs Theorie als eine das herrschende Rechtssystem unterstützende Lehre, damit jeder weiß quid deceat, quid non.
Peter Behrens und die AEG | Alexandra Völker
Peter Behrens (1886 – 1940) wurde 1907 zum Künstlerischen Beirat der von Emil Rathenau gegründeten AEG (Allgemeine Electricitäts-Gesellschaft) berufen. Dort entwarf er zunächst Drucksachen, bis er mit der Neugestaltung aller Produkte der AEG beauftragt wurde. Behrens verzichtete auf allen überflüssigen Dekor und stellte bei der Gestaltung die Funktion des Produktes in den Vordergrund.
Behrens überließ nichts dem Zufall, egal ob Printmedien, Verkaufsräume oder Fabrikanlagen (wie z.B. die Turbinenhalle in Berlin-Moabit) – alles unterlag seiner Gestaltung. Er entwarf für die AEG ein einheitliches Erscheinungsbild mit hohem Wiedererkennungswert (heute spricht man von einer Corporate Identity). Peter Behrens wird heute als einer der ersten Industriedesigner angesehen. Er vereinte Planung, Gestaltung, Ausführung und Präsentation eines Produktes.
Funktionalismus als Epoche. Zum funktionalistischen Stilbegriff und dessen Wandel im Verlauf des 20. Jahrhunderts | Eva-Maria Gerhards
Der Funktionalismus des 20. Jahrhunderts – und auch der Funktionalismusbegriff – ist viel komplexer als man auf den ersten Blick vermuten würde. Somit widmete sich die erste Hälfte des Vortrags dem Problem der Begrifflichkeit und warf die Frage auf, ob Funktionalismus überhaupt als Epoche verstanden werden kann.
Die zweite Hälfte präsentierte in einem episodisch gestalteten historischen Überblick den Funktionalismus des 20. Jahrhunderts. Besprochen wurden der Deutsche Werkbund, das Bauhaus, die HfG Ulm und die Funktionalismusdebatte der 1960er Jahre. Es sollte nicht darum gehen eine kohärente Geschichte aufzuzeigen, sondern sowohl Differenzen und Widersprüche als auch den Wandel, dem der Funktionalismus unterworfen war, sichtbar zu machen.
Abschließend wurde der Versuch gewagt die eingangs gestellte Frage zu beantworten. Meines Erachtens nach sollte der historischen Funktionalismus eher als Stil oder Strömung der Moderne statt als Epoche betrachtet werden. Zwar lehnten gerade die Funktionalisten den Stilbegriff ab, jedoch hat diese Auffassung einen entscheidenden Vorteil: ein Stil kann sich wandeln und so erzählt die wechselhafte Geschichte des Funktionalismus unterschiedliche Geschichten.
International Style | Sebastian Bracht
Der Vortrag mit dem Thema International Style handelte von den Merkmalen und Prinzipien der Architektur in den frühen 1920er bis in die späten 1960er Jahre. Die amerikanischen Architekten Henry-Russel Hitchcock und Philip C. Johnson prägten 1932 mit dem Buch The International Style. Architecture since 1922 den Begriff des International Style. Sie würdigten das Formenvokabular des Bauhauses und übernahmen es für die Bestimmung des „Internationalen Stils“. Architektur wie auch Möbel waren im Sinne des Funktionalismus in ihrer Dekoration reduziert und strahlten Klarheit und Ordnung aus. Hitchcock und Johnson hoben drei Prinzipien als Kennzeichen des Internationalen Stils hervor: Die Architektur sollte als umschlossener Raum konstruiert werden, eine modulare Regelmäßigkeit aufweisen und zudem gänzlich auf willkürliche Ornamentik verzichten. Noch heute werden Bauten von Peter Behrens, Adolf Loos und Mies van der Rohe genau wie die Möbelentwürfe von Le Corbusier oder Alvar Aalto als vorbildhaft empfunden.
Jürgen Habermas: Die Moderne – ein unvollendetes Projekt, Frankfurt, 19.09.1980 | Svenja Hoffritz
Die Moderne – ein unvollendetes Projekt. Das ist keine Frage, sondern für Jürgen Habermas eine Feststellung. Der Soziologe und Philosoph verteidigt die Ideale der Aufklärung und somit auch die Moderne gegenüber den damals entstehenden neokonservativen und postmodernen Gegenströmungen in seiner Dankesrede für den ihm verliehenen Theodor-W.-Adorno-Preis der Stadt Frankfurt. Der Ausdifferenzierung von System und Lebenswelt und einer stattfindenden Kolonialisierung, hervorgerufen durch die gesellschaftliche Modernisierung, könne nur durch eine radikalisierte Aufklärung entgegen gewirkt werden und nicht durch einen Antimodernismus. Habermas führt in seinem Gesellschaftskonzept die kritische Theorie Adornos und Horkheimers fort, zieht jedoch andere Schlussfolgerungen. Die kommunikative Vernunft als zentrales Paradigma sei das einzige Mittel, die Moderne aus ihren Aporien zu befreien und das funktionalistische System und die Lebenswelt wieder miteinander zu verknüpfen.
„Noch einmal – die Lehre an der HfG Ulm“ | Kathrin Corinna Böhm, Joyce Moore
Der Hochschule für Gestaltung Ulm kann auch vier Jahrzehnte nach ihrer Schließung eine bedeutende Rolle im aktuellen Diskurs um Design als auch ein bedeutender Einfluss auf die universitäre Lehre und Lehrbarkeit von Design zugeschrieben werden. In Publikationen über die HfG Ulm eröffnet sich immer wieder die Debatte, ob diese Schule in ihrem Vorhaben als eine erfolgreiche oder gescheiterte Institution angesehen werden kann. Konzentriert man sich auf den Einfluss, den die Neuerungen des methodisch-analytischen Gestaltungsansatzes auf unsere heutige Designausbildung ausübten, so scheint die Zuschreibung „erfolgreich“ zu Recht bestehend.
An dieser Überlegung ansetzend widmete sich der Vortrag mit dem Titel „Noch einmal – die Lehre an der HfG Ulm“ zum einen den Inhalten, die die Lehre an der Hochschule für Gestaltung auszeichneten. Zum anderen wurde der Frage nach der Bedeutung der HfG Ulm für unsere heutige Designausbildung im Konkreten als auch für die Professionalisierung des Berufsbildes des Designers im Allgemeinen nachgegangen.
Systemdesign an der HfG | Sandra Bischler
Orientierungssysteme an Flughäfen, Corporate Designs von Unternehmen, Möbelsysteme und modulare Smartphones – die Liste an Beispielen, wie Systemdesign heute unseren Alltag bestimmt, lässt sich scheinbar endlos weiterführen. Doch wie entstand dieses Denken in Systemen?
Betrachtet man die Entwicklung des Systemdesign-Begriffs historisch, so fällt der Blick unweigerlich auf die Hochschule für Gestaltung Ulm und ihr „ulmer modell“, die wissenschaftlich-systematische Herangehensweise an Design.
Mein Forschungsvorhaben widmet sich besonders dem Systemdesign in der Abteilung Visuelle Kommunikation, in der unter anderem Erscheinungsbilder und Zeichensysteme entwickelt wurden. Welches theoretische Fundament liegt hier dem Systemdesign zugrunde? Wie wurde dieses gelehrt und (wie erfolgreich) angewandt? Welchen Einfluss hatte es auf nachfolgende Entwicklungen?
Diesen Fragen möchte ich in den nächsten Monaten vor allem durch Analyse konkreter Systemdesign-Beispiele wie Studien- und Diplomarbeiten nachgehen, aber auch anhand von Dokumenten und Publikationen der Hochschule, die größtenteils im HfG-Archiv Ulm aufbewahrt werden, die theoretischen Wurzeln des HfG-Systemdesigns untersuchen.
„Weniger ist mehr“ – Dieter Rams | Patrick Möckesch
Es galt Dieter Rams‘ Schaffen – einer der bedeutendsten Industriedesigner Deutschlands und der Nachkriegszeit – auf die Funktion im ästhetischen Diskurs hin zu untersuchen. Seine zehn Thesen zum Design bildeten hierbei den inhaltlichen Rahmen.
„Es ging mir immer um das Schlichte, das Einfache. Solange ich mich zurückentsinnen kann, war es das, was ich wollte.“ Rams‘ Auffassung ist, dass man ein Produkt mit gutem Design zum Sprechen bringen kann. Ziel war es immer das Selbsterklärende hervorzuheben. Der heute wichtige Faktor der Nachhaltigkeit war bereits in seinen Entwürfen der 1950er Jahre enthalten. Qualität und Haltbarkeit waren für ihn Grundanforderungen an seine Produkte.
Dieter Rams‘ Entwürfe werden häufig mit aktuellen Produkten der Firma Apple verglichen, um die immer noch geltende Bedeutung seines Credos „weniger ist mehr“ zu veranschaulichen.
Wilhem Wagenfeld – „…denn alles Brauchen muß schön sein können“ | Marleen Grasse
Mit diesem Anspruch entwarf der Industriedesigner Wilhelm Wagenfeld (1900–1990) viele Alltagsgegenstände. Zu Beginn seiner gestalterischen Tätigkeit noch mit den Normen von Historismus und Jugendstil konfrontiert, entwickelte Wagenfeld als Geselle am Bauhaus gemeinsam mit Carl Jakob Jucker die zur Ikone gewordene „Bauhausleuchte“. Später gab Wagenfeld die konstruktivistisch geprägten Prinzipien des Bauhauses zugunsten eines stärker am Menschen orientierten Funktionalimus auf. Dabei entstanden Produkte, die immer beides sein sollten: schön und funktional. Sie sollten selbstverständlich und gern zu benutzen sein sowie eine zeitbeständige und unaufdringliche Form aufweisen.
Der Einfluss der Natur – Positionen der Moderne | Jana van Thiel und Robin Nagel
Der Vortrag behandelte mit Louis Sullivan, Frank Lloyd Wright, Peter Behrens und Le Corbusier vier wichtiger Vertreter der Moderne, welche sich theoretisch wie praktisch mit der Natur auseinandergesetzt haben.
Die Architekten waren dabei weniger an künstlerischen Natur-Imitationen interessiert, sondern vielmehr an der Adaption organischer Funktionen und Maßverhältnisse. Auch der technische Fortschritt und die sich daraus abgeleitete Suche nach einer natürlich wahrzunehmenden Formensprache, waren Teil dieses Vortrags. So scheint Le Corbusiers mit seinen Bauten der Natur zunächst diametral gegenüberzustehen, doch bediente er sich ihrer Gesetze und entwickelte mit dem Modulor ein am Menschen orientiertes Maßsystem.
Die Überlegungen der vier Architekten bieten Lösungsansätze, die sich dem noch immer vorherrschenden Styling unserer Tage als Konzept für bewusste Gestaltung entgegensetzen lassen.
Die Idee der Reduktion im skandinavischen Design | Hanna Düspohl
„In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister“, schrieb Johann Wolfgang von Goethe um 1800. Bis heute ist die Reduktion, auf die Goethe in diesem Zitat anspielt, eine aktuelle und gültige Gestaltungsweise des skandinavischen Designs.
Das skandinavische Design erfährt seit den 1950er Jahren eine ungebrochene weltweite Aufmerksamkeit und zeichnet sich vor allem durch eine zurückhaltende und sparsame Verwendung von Materialen und Farben aus. Der finnische Designer Harri Koskinen (*1970) knüpft heutzutage mit seinen Produkten an die klare, funktionale und innovative Designsprache der skandinavischen Moderne an.
So zeichnet sich seine 1996 entworfene Blocklampe beispielsweise durch eine komprimierte und verständliche Gestaltungsweise aus. Das gelbe Licht der Glühbirne erzeugt, trotz des kühlen Glaskörpers, eine wärmende Atmosphäre und schafft damit einen Kontrast zwischen Warm und Kalt. Dieser zusätzliche Fokus auf Aspekte wie Atmosphäre und Temperatur sind, im Gegensatz zum Bauhaus, im skandinavischen Design ein wichtiger Bestandteil.
Aktueller Postmaterialismus – Ein Ausblick | Melanie Frischmuth
„Mäßigung ist zum Statussymbol eines postmateriellen Lebensstils geworden, der nicht mehr automatisch Pessimismus bedeutet“, so thematisierte Der Spiegel im April 2014 die Tendenz zum Konsumverzicht. Nicht nur Wissenschaftler auch alternative Lebensformen im Privaten verhandeln diese Thematik. Grund genug, sich im Kontext der Gestaltung damit zu beschäftigen: Wenn Verzicht und Mäßigung den Konsum bestimmen, kann dann konsequent gedachte Rationalität als Leitbild fungieren? Kann aktueller Postmaterialismus sogar dem Verbrechen des Ornaments entgegentreten?
Mäßigung als Statussymbol? Wie sieht ein vorbildliches Produkt aus, dass Rationalität nicht nur kommuniziert, sondern seinem Wesen nach rational ist? Heißt Funktionalismus heute Nachhaltigkeit?
Was sich andeutet, befähigt das aktuelle Nachhaltigkeitsstreben zu etwas, das der Funktionalismus im 20. Jahrhundert nicht durchsetzen konnte: Das Ende der Verschwendung. Die große Diskrepanz zwischen dem Funktionalismus und der freien Marktwirtschaft kann überwunden werden. Das Konzept heißt: Postwachstumsökonomie.
_Weiteres Thema
Dialektik der Aufklärung von Horkheimer und Adorno | Nicole Dierolf