Sanfter Pop

Eun Me Ahn bittet das Folkwang Tanzstudio: Please hold my hand

Tanzjournal 6/2003
Gesa Pölert

Please help me - please love me - please kill me. Das bittet die Koreanerin Eun Me Ahn in den Titeln dreier ihrer jüngerer Choreographien. Ihr neuestes Werk
führt die Themenreihe weiter: Please hold my hand heißt das Stück. Uraufführung war diesmal nicht in New York oder Südkorea, sondern, an der Essener
Folkwang-Hochschule. Schon 2001 war Me Ahn mit drei Soli zu Gast bei Pina Bauschs „Fest in Wuppertal”. Jetzt kam sie zurück nach Nordhein-Westfalen, um aufs
Bauschs Vermittlung für das Folkwang Tanzstudios zu choreographieren – einen neonbunten, trotzdem eher sanften Bruch mit dortigen Sehgewohnheiten.

Me Ahn errichtet auf weiß ausgekleideter Bühne ein poppiges Asien-Märchenland. Gebaut aus abstrakten Geschichten, bevölkert von Geschöpfen wie aus
bonbonfarbigen Zeichentrickfilmen. Young Gyu Jang hat wie schon für eine Reihe früherer Me-Ahn-Choreographien die passende Musikkulisse arrangiert: einen
gestylten Metropolensound, der Quietschen und Rasseln sanft mit Handymelodien und Bohrmaschinengeräuschen mixt. Die elf Folkwang-Tänzer bewegen sich dazu in
rosa Badekappen (alternativ auch mit wilden schwarzen Perücken), orangefarbigen Hot pants, knalligen weiten Kleidern. Sie scheinen mehr Figuren als Tänzer –
überzüchtete Produkte einer hochkünstlichen Kultur, so etwas wie Tulpen in einer Sechziger-Jahre-Plastik-Wohnung.

Dazu passen die neongrünen Hocker im Retrostil. Sie helfen auch immer wieder, Bühne und Tanz umzustrukturieren. Zu Beginn sitzen alle Tänzer in langer Reihe,
dem Publikum zugewandt. Lächeln wie russische Babuschka-Puppen und fallen mit langsamen Purzelbäumen in den Raum. Später sind die Hocker wie Schachfiguren über die ganze Fläche verteilt. Die Tänzer vollführen dazwischen halbrunde Drehungen – in diese einfache Bewegung versunken wie ferngesteuerte, geschmeidige Marionetten.

Puppenmeisterin Me Ahn hat alles perfekt durchdirigiert. Mal eher abstrakt in geordneten Mustern, mal in gegenständlichen Bildern wie handfesten
Sex-am-Strand-Szenen. Sie legt Wert auf eine extrem bewegliche Welt: selbst in geometrischen Ensembles tanzen immer ein oder zwei Darsteller aus der Reihe,
tauchen neue Bilder auf wie plötzliche neue Gedanken. Bereits eingeführte Motive werden vor veränderten Hintergrund weiterentwickelt: Die zunächst absurde
Badeausstattung etwa hat in den Strandszenen dann doch noch ihre Berechtigung.

Später verwandelt sich am projizierten Bilderbuch-Sternehimmel der Mond in einen gestreiften Weltraumlampion. Und es wird – wie überhaupt im ganzen Stück – viel
und variantenreich, vor allem aber lautstark geküsst. Nur vom Händchenhalten des Titels ist wenig zu sehen: Me Ahn nimmt die liebe in Pas-de-deux-Persiflagen
und Sexposerei auf die leichte Schulter. Anderseits ist sie Komponistin und Künstlerin genug, um ihre Lollipop-Welt mit leisen Tönen, dunklen Akzenten
aufzumischen. Eine Szene etwa wiederholt sich refrainartig an zwei verschiedenen Stellen im Stück: Zu Tönen wie von der Klinge eines Messers hängt Lotte Rudhart
als aufgespießter Schmetterling in den Armen ihres Partners. Ihre Beine zucken wie bei einen klassischen Balletttod - zu elegisch schön allerdings.

Me Ahn liebt augenzwinkerndes Zitieren, gestylte Ironie. Sie sammelt, assoziiert, montiert: Motive aus Film, Tanz, Mode und Kunst. Die sie leichthin in eine
unverkennbar eigene Handschrift und hintergründige Popästhetik überführt. Und als einstündige, skurrile Animation unkommentiert zur Verfügung stellt.

Im Land des Lächelns

ballettanz 12.2003
Bettina Trouwborst

Es ist nicht dieses verheißungsvolle, beinahe frivole Lächeln, mit dem Pina Bauschs Tänzerinnen ihr Publikum betören. Es ist mehr ein freches, verschmitztes
Grinsen, das in dem Tanzstück „Please hold my hand” von Eun Me Ahn nicht von den Lippen der elf jungen Künstler des Folkwang Tanzstudios (FTS) weicht. Aber man
muss immer wieder an die Wuppertaler Prinzipalin denken, die die Südkoreanerin als Gastchoreographin für das FTS empfahl. Die Ähnlichkeiten der beiden Frauen in
Humor und Bildsprache sind bei der Uraufführung in der Aula der Hochschule unübersehbar. …

Alles ist Lebensfreude, alles ist Lust. Das Volk in Pink verleiht seiner elementaren Vitalität Ausdruck in immer neuen Tänzen und Liebesspielchen. Eun Me Ahn
ersinnt heitere, ja übermütige Bilder. Nackte rutschen bäuchlings auf Handtüchern über die Erde und schieben dabei die Hocker vor sich her. Eine Frau lächelt
als Insulanerin unter einem Regenschirm auf einem Handtuch, das ein Mann am Zipfel über die Bühne zieht. Eine Tänzerriege quert die Bühne in klassischen
Sprüngen, Frauen machen am Boden Aerobic. Witzige Massagetechniken entstehen, als sich die Tänzer bei den Aerobic-Übungen dazugesellen. …

NRZ Essen, 1. November 2003

Dagmar Schenk-Güllich

In ein Land poppiger Träume hat sie uns geführt, die koreanische Choreografin Eun Me Ahn, die mit ihrer Exzentrik nicht nur in ihrer Heimat für mächtig Aufsehen
sorgt. Mit dem Folkwang Tanzstudio hat sie ein neues Werk erarbeitet: „Please hold my hand”. Die Uraufführung in der Neuen Aula sorgte für minutenlangen
Beifall.

Der Zuschauer wurde von der ersten Sekunde von der durchaus provokanten Fantasie dieser Künstlerin gefesselt …

Musik, Tanz, Kostüme, Bühnenausstattung – alles passt zusammen. Ihre Arbeit als Antwort auf die sakrosankte Kunst des japanischen Butoh zu erkennen, ist nahe
liegend. Ritueller Habitus, das immerwährende Lächeln sind die asiatischen Elemente, die sie frech mit zeitgenössischen westlichen verbindet.