Folkwang

Tourlife parallel zum Studium – ein Student wagt den Spagat

Henning Neidhardt (26) studiert Jazz-Klavier an Folkwang. Bevor er nach Essen gezogen ist, hat er bereits ein Jahr in Amsterdam sowie zwei Jahre in Enschede studiert. Im Sommer 2019 wird er sein BA-Abschlusskonzert spielen; bevor er das macht, steht aber noch ein anderes großes Projekt bei ihm an, das weniger mit dem Studium des Klaviers, als vielmehr mit der menschlichen Psyche zu tun hat. StudiScout Felix Waltz hat sich mit ihm zum gemeinsamen Frühstück getroffen und ein wenig über das gesprochen, was da auf Henning zukommt. 

Felix Waltz (StudiScout) und Henning Neidhardt im Gespräch | Foto: Felix Waltz

Felix Waltz (StudiScout) und Henning Neidhardt im Gespräch | Foto: Felix Waltz

 

Felix: Guten Morgen Henning, hast du dich heute schon in irgendeiner Form aktiv mit Musik auseinander gesetzt?

Henning: Nein.

F.: Ok, es ist auch 09:25 Uhr.

H.: Genau, ist ein bisschen früh.

F.: Bist du ein Morgenmensch?

H.: Ja, in der Regel schon, auch wenn ich erstmal frühstücken muss, aber gestern früh z.B. habe ich für eine spätere Probe im Laufe des Tages noch ein paar Stücke rausgehört, doch heute bin ich direkt nach Werden gefahren.

F.: Wie viel Raum nimmt die Musik außerhalb des Studiums in deinem Leben ein?

H.: Viel, dadurch, dass ich viele Auftritte spiele - so ca. zwei die Woche - und mich auf die auch vorbereiten muss. Ich wünschte mir eigentlich, dass ich auch noch mehr Zeit hätte, um mehr Musik bewusst zu hören, doch leider habe ich oft gerade dann eine innere Unruhe und denke, dass ich andere Sachen regeln muss, wie E-Mails schreiben und den ganzen restlichen Orga-Kram.

F.: Wie schätzt du das bei dem durchschnittlichen Jazz-Studierenden ein?

H.: Ich glaube, dass die meisten, die vom Üben nach Hause kommen, weniger Lust auf den Orga-Kram haben und sich doch lieber weiter mit der eigentlichen Materie beschäftigen - sprich: doch weiter üben oder Platten auschecken. Ich habe bei vielen Kommilitonen und Kommilitoninnen das Gefühl, dass sie den Businessteil schludern lassen und sich weniger um Gigs kümmern. Das hat Vor- und Nachteile.

F.: Bei dir steht jetzt ein großes Projekt an, worum handelt es sich dabei genau?

H.: Ab Ende September bin ich mit Timon Krause unterwegs – er wurde zwei Mal in Folge als Europas bester Mentalist ausgezeichnet.

F.: Was genau ist ein Mentalist?

H.: Das ist jemand, der Menschen in Hypnose und Trance versetzen, aber auch Gedanken lesen kann. Der legt seine Hand auf deine, drückt alle Finger einmal und kann dir dann den Pin-Code deiner Bankkarte sagen.

F.: Schon irgendwie gruselig...

H.: Ja, auf jeden Fall irgendwie gruselig, aber natürlich spannend. Naja, jedenfalls ist das mein Projekt; da haben wir zusammen ein ganzes Showkonzept entworfen, wie man Mentalismus mit Musik verbinden kann, die ich dann schlussendlich komponiert habe. Damit sind wir in 63 Theatern in Holland auf Tour über einen Zeitraum von knapp fünf Monaten. Das heißt, drei Tage spielen, vier Tage Pause oder andersrum.
Deswegen habe ich mein Zimmer jetzt auch untervermietet für den Zeitraum, da ich dann sowieso fast nur in Holland sein werde und eben wenig in Essen.

F.: Bist du in dieser Zeit also nie an Folkwang, sprich, nimmst du ein Urlaubssemester?

H.: Ein Urlaubssemester nehme ich nicht, ich komme alle zwei Wochen, um bei Sperie Karas Schlagzeugunterricht (Hennings Nebenfach, Anm. der Red.) zu nehmen. Ich habe halt alle anderen Kurse schon fertig, abgesehen von ein paar optionalen Credits. Big Band fehlt mir auch noch, aber das mache ich dann erst nächstes Semester.

F.: Gut, Urlaubssemester hin oder her - du wirst auf jeden Fall nicht groß an der Uni üben, geschweige denn präsent sein...

H.: Nein, wohl nicht - ich habe mir ein paar Konzepte überlegt, wie ich auf der Tour an Dingen wie Gehörbildung und Transkriptionen arbeiten kann, aber man wird dennoch auch viel im Auto sitzen und nicht an Orten sein, an denen es sich entspannt üben lässt.

F.: Glaubst du, dass das den „Uni-Flow" gefährdet oder könnte ihn das unter Umständen auch beleben?


H.: Ich glaube, dass es total belebend sein wird! Ich merke beispielsweise immer nach dem Urlaub, dass ein wenig Abstand auch eine Sehnsucht hervorruft und je seltener ich hier bin, desto größer die Lust ist, wieder zu jammen, die Leute zu sehen und meinen Kram zu üben. Ich glaube, dass mich das anspornen wird.

F.: Wird dich diese Tour auch unter künstlerischen Gesichtspunkten weiterbringen?

H.: Ich bin ganz ehrlich: Künstlerisch ist diese Show nicht die Erfüllung - zumindest an dem Abend aus spielerischer Sicht nicht, da man festgelegte Jingles spielt, bei denen es keinen Raum für Improvisation gibt.
In der Zeit allerdings, in der ich komponiert habe, habe ich total viel gelernt. Ich habe mir extra Bücher gekauft, die das Thema „Filmmusiken komponieren" behandeln, da setzt man sich auf unterschiedlichste Art und Weise damit auseinander, wie Dramatik, Freude, Lustigkeit, etc. musikalisch dargestellt werden können. Das hat mir viel gebracht.
Und klar, während der Tour werden sich sicher auch Dinge ergeben, die auch nach 10 Shows nicht funktionieren und da muss man dann spontan umarrangieren. Darüber hinaus kriegt man natürlich auch ein gutes Gespür für Keyboardsounds, da hatte ich bisher auch wenig Fokus drauf und entwickle gerade einen ganz eigenen Geschmack.

F.: Die Tour steht dir jetzt erst bevor, deswegen ist das eher eine Frage an dein Bauchgefühl: Wenn ein Kommilitone, der noch Kurse zu machen hat, der sich also für ein solches Projekt sicher ein Urlaubssemester nehmen müsste, die Möglichkeit bekommt, eine halbjährige Tour zu spielen, bei der man natürlich gutes Geld verdien und etwas von der Welt sieht; würdest du dem sagen: „Mach das auf jeden Fall" oder „Erstmal fertig studieren und dann kannst du das immer noch machen"?


H.: Ich würde ihr oder ihm auf jeden Fall sagen: „Mach es jetzt!"
Den Gedanken, erst fertig zu studieren und dann die Gigs anzunehmen, halte ich für sehr gefährlich. Wenn die Gigs da sind oder man sogar die Chance hat, auf Tour zu gehen, muss man das vorziehen.
Nur weil du dein Abschlusszeugnis in der Hand hast, auf dem steht, dass du Musiker bist, heißt das noch lange nicht, dass dich die Leute anrufen. So wichtig das Studium auch ist, dieses Dokument braucht man aus meiner Sicht im Grunde nicht. 

F.: Tourleben ist abwechslungsreich und aufregend, allerdings auch schlauchend. Welches Gefühl, glaubst du, wird am Ende überwiegen?

H.: Ich glaube, ich werde am Ende schon genug davon haben und erstmal wieder meine anderen Sachen machen müssen. Nichtsdestotrotz werde ich das Ganze mit Sicherheit unglaublich zu schätzen wissen.

F.: Es ist wahrscheinlich nicht dein Ziel, dass diese Show dein einziges Projekt bleibt. Was machst du, wenn Timon Krause in fünf Monaten zu dir kommt und sagt: „Die Tour lief so gut, wir haben direkt eine Anschlusstour durch ganz Europa reinbekommen und können direkt weiter machen"?

H.: Da habe ich schon oft drüber nachgedacht. Diese Tour ist sowieso nicht die einzige. Wir haben einen Vierjahresvertrag mit unserem Manager und der macht uns jeden Herbst eine Tour klar. Wir gehen davon aus, dass die folgenden Touren noch größer werden. Ich könnte mir das so vorstellen, dass diese Sache mein finanzielles Standbein ist, das mir dadurch aber auch genug Zeit einräumt, um auf der anderen Seite künstlerisch vermehrt tätig zu sein, damit ich mich musikalisch komplett ausleben kann.

F.: Habt ihr darüber gesprochen, dass längere Pausen dafür zwischen den Tourblöcken für dich gewährleistet sind?

H.: Ja, da können wir offen drüber reden. Timon kann diesen Gedanken zum Teil nachvollziehen, zum Teil nicht. Wenn er hört, wie ich da spiele, findet er das super und denkt, dass das total erfüllend ist für mich, aber er versteht nicht so ganz, wie weit Musik noch gehen kann...

F.: ...Und das, obwohl er deine Gedanken lesen kann...

H.: ...Ja genau, aber er lässt sich darauf ein und das ist dann auch gut so. Also, ich werde mich definitiv noch in viele Richtungen musikalisch ausleben können.

F.: Dann wünsch ich dir nur das Beste für die Tour!

H.: Besten Dank!

 

 

Ein Beitrag im Rahmen des Projekts „Folkwang StudiScouts“.

 

Felix Waltz / 12. September 2018