Ein Tanz am Abgrund

Das Folkwang Tanzstudio präsentierte gleich zwei Uraufführungen an einem Abend.
NRZ Essen, Dagmar Schenk-Güllich, 06.03.2009

Gleich zwei Uraufführungen an einem Abend in der neuen Aula der Folkwang Hochschule: Das renommierte Folkwang Tanzstudio trat mit zwei neuen Stücken an die Öffentlichkeit. Geschaffen haben sie zwei junge Tänzer und Choreographen, die in Tokio geborene Chikako Kaido und der Argentinier Leo Kees.

Beide haben das erste Mal für das Tanzstudio choreographiert. Aussage und Ausdruck jedoch sind sehr unterschiedlich. Leo Kees arbeitet multimedial, liebt die Spielerei mit den formalistischen Möglichkeiten. „Writing on water”, ein Stück, das sich mit der Flüchtigkeit der Bewegung auseinandersetzt, zeigt Dialoge zwischen Tanz und Video, wobei die Video-Kamera-Montagen von großer Experimentierlust und sicherer Gestaltung zeugen. Die Tänze, ob Solos, Duos oder Gruppenszenen sind kraftvoll und dynamisch, alles andere als kopflastig und hintersinnig. Das Spiel mit den Formen bestimmt das Tanzgeschehen.

Ganz anders der Tanz von Chikako Kaido. Bevor die Tänzerin eine Ausbildung an der Folkwang Hochschule absolvierte, studierte sie in ihrer Heimat klassisches Ballett und die Philosophie des Butho-Tanzes. Ein Workshop bei Henrietta Horn, der ehemaligen Leiterin des Folkwang Tanzstudios, war es, der die junge Japanerin bewog, sich dem modernen Ausruckstanz zu widmen. Diese multi-kulturellen Wurzeln sind auch in dem Werk „There is an abyss” (etwa: „Es gibt einen Abrund”) zu spüren.

Mit der Hartnäckigkeit à la Horn hält sie an Bewegungsmustern fest, die das Unbehaustsein des Menschen in der Welt wie im eigenen Körper deutlich machen. In Japan, ein Land mit einer erschreckend hohen Suizidrate, sei ihr der Gedanke gekommen, das Sichtbare ebenso wie das Unsichtbare des zerrütteten Menschen darzustellen. Da sieht man den verprügelten Menschen lachen, da sieht man, wie eine Gruppe mit schlackernden Gliedern in sich zusammenfällt, da erlebt man Zusammenbrüche, Kämpfe, die angedeutet, aber nicht ausgetragen werden.

Nervosität, Zerrüttung, Aggression, Enge, Gewalt zwischen Männern und Frauen, in der Masse, am eigenen Körper sind das Thema ihres Stückes. Kaidos Körpersprache ist aufregend und ausgefallen, scharf akzentuiert, schnell und markant. Allerdings zieht sich das Stück etwas in die Länge. Ein kleines humorvolles – aber ebenfalls schauriges – Intermezzo mit Musik im sonst stillen Werk, bei dem zwei Tänzer symbolisch ins Publikum zielen, unterbricht den Abend der Selbstgeißelung. Das Publikum zeigte sich begeistert.