Flandern bringt Folkwang nicht in Not

Umjubelter Abend des FTS

WAZ, 3.Juli 2001
Michael Kohlstadt

„Lakenhal" gibt uns keinen Abriss flandrischer Historie. Henrietta Horn wählt statt eines vordergründigen Erzähltons die lyrische Variante: Es ist eine poetische Bilderreise in die Seelenlandschaft eines kleinen, selbstbewussten, lebensfrohen aber auch geknechteten, kriegsgebeutelten Volkes. Henrietta Horn führt diese Bilder in fesselnder Zwangsläufigkeit und berührend-suggestiver Eindringlichkeit zu einem hochverdichteten Tanzstück zusammen. Die Tänzer und Tänzerinnen finden zwischen den weißen, von der Decke hängenden Tuchbahnen zu fließender, musikantischer Bewegung. Es geht ein wenig geschmeidiger zu als in anderen Horn-Choreografien. Beispielhaft ist die melancholisch eingefärbte Musikauswahl zwischen Jaques Brel und Digeridoo, zwischen Chanson und Weltmusik.

ballett international, tanz aktuell 7/2001

Bettina Trouwborst

Es könnte eine von Henrietta Horns sinnfälligen Wortkompositionen sein: Anders als z.B. „Dankhang” oder „Gewege” steht der Titel ihres neuen Stückes „Lakenhal” aber im Wörterbuch - im flämischen. Eine «Tuchhalle» - in seiner Blütezeit war Flandern berühmt für seine Leinenweberei - deutet auch die Bühne mit ihren hellen Stoffbahnen an. In dieser Kulisse skizzieren Henrietta Horn und das Folkwang Tanzstudio (FTS) ein vages Porträt Flanderns, jenes Landstrichs im Norden Belgiens, das als Spielball der Mächte seine Nationalität mit den Jahrhunderten wechselte. Die FTS- Leiterin nimmt den Auftrag der Bayer-Kulturabteilung Leverkusen zum Anlass, Mechanismen von Macht, Unterdrückung und Aufbegehren vorzuführen. Das macht sie wunderbar mit klar ausgearbeitetem, elegantem Schrittmaterial und- erstmals - ironisch-witzigen Bildern und Assoziationen, die Machthaber als Popanze outen.

Wo ist Flandern?

Henrietta Horns neue Choreographie „Lakenhal” in Leverkusen

Tanzdrama 4/2001
Gesa Pölert

Bei Horn entstehen aus der Beschäftigung mit dem flämischen Schicksal abstrakte Bilder; assoziative Szenerien. Sie läßt Bewegung und Blicke sprechen, inszeniert Konfrontationen, aufbegehrende Wut und losgelassene Freude als historisch und erzählerisch kaum festgelegtes Panorama einer wechselhaften Geschichte.

Sich arrangieren, sich dirigieren lassen, aufbegehren oder ganz einfach jenseits von Staat und Gesetz sein eigenes Ding drehen, das sind die menschlichen und historischen Momente, die sie gegeneinanderstellt. Wenn zu Beginn ein großtuerisch mit den Händen fuchtelnder Staatsmann seine Allmachtsphantasien auszuleben sucht, verbergen sich alle anderen hinter den Stoffkulissen, wagen sich nur im Dunkeln hervor. Bis eine Tänzerin ihm ohne ein Wimpernzucken die Stirn bietet, unbeeindruckt von Drohgebärden: ein als Spiel der Blicke inszeniertes Bild der Zivilcourage, des Aufbegehrens. Auch eine Art Bauerntanz in weit ausholenden Schritten, mit zurückgeneigtem Oberkörper - man denkt an jene respektlosen Gemälde der alten flämischen Meister - wird zum gemeinschaftlich begangenen Fest der Freiheit.

Ganz anders jene Szene, in der sich die ganze Kompanie wie ein Haufen Marionetten dirigieren läßt, oder die Militärübung am Schluß: Zu einem alten Landsknechtslied verweist sie auf jene Zeiten, zu denen Flanderns Männer als Söldner in fremden Kriegen starben.