Japanische Tanzoper beim „neuen werk”

Kieler Nachrichten, 22. Oktober 2002
kwi

Skepsis gegenüber getanzten Konzerten erweist sich in den meisten Fällen als berechtigt. Doch die Kooperation zwischen Folkwang Tanzstudio aus Essen und dem
Düsseldorfer Ensemble musikFabrik entpuppte sich bei der Eröffnung der NDR-Konzert Reihe „das neue werk" als hochprofessioneller Glücksfall.

Henrietta Horn verleugnet in keinem Moment die konzertante Situation, spielt sie vielmehr aus und entspinnt auf engem Raum dennoch einen dichten, sich intensiv
steigernden Dialog zwischen Klang- und Tänzer-Körpern. Sie transformiert - analog zum japanischen Theater und der neutönerischen Komposition - die Fabel aus der
Muramachi-Zeit in streng stilisierten, doch expressiven Ausdruckstanz. Aus starren Posen, durch die Musik und ihre Gefühle beseelt, wechseln die Figuren in
gestische Bewegungen, deuten in spannungsvollen Gruppierungen mit den Musikern das Drama szenisch an.

Der NDR lässt die japanischen Puppen tanzen

Die Welt, 22. Oktober 2002
Lutz Lesle

Vom japanischen Puppentheater inspiriert, lässt Choreografin Henrietta Horn sieben Tänzerinnen und Tänzer die grausige Geschichte pantomimisch erzählen,
während die Sängerin Sarah Leopard die Dialoge samt fürstlichem Höllengelächter eindringlich auf Japanisch rezitiert. Sinnreich und grandios die Verdopplung der
marionettenhaften Handlungsfiguren durch quasi holzgeschnitzte schwarz gekleidete Puppenspieler. Sie verkör pern die widerstreitenden Kräfte in der ihnen
zugeordneten Figur. Sie spielen Advokat des Teufels oder Schutzengel, können aber auch Zielscheibe der Grausamkeit werden. Doch was wäre das ganze Tanzdrama
ohne das famose Septett der rheinisch-westfählischen „musikFabrik” unter Leitung von Robert HP Platz!

Ein fein geflochtenes Netz

Henrietta Horn choreographiert für die Oper Eshi - der Maler

tanzdrama, 6/2002
Irmela Kästner

Die Mythenwelt aus dem mittelalterlichen Japan ist in der zeitgenössischen Musik und im Theater des Landes bis heute lebendig, nicht zuletzt weil die
japanische Musik und die damit verbundene Theaterkunst zu jener Zeit als sehr weit entwickelt galten. Diese Gratwanderung zwischen Tradition und Moderne ist
durchaus ein Signet japanischer zeitgenössischer Kunst. Eine ungleich größere Herausforderung stellt sich dagegen, wenn sich in diesem Spannungsfeld zusätzlich
Ost und West begegnen, wie jetzt in Hamburg in der NDR-Reihe »das neue werk« zum Thema »Labyrinth Mythos«. Das Folkwang Tanzstudio und das Ensemble musikFabrik
brachten unter der musikalischen Leitung von Robert HP Platz Eshi - der Maler, eine Kammeroper des zeitgenössischen japanischen Komponisten Akira Nishimura, mit
der Choreographie von Henrietta Horn zur Aufführung.

Sensibel, dabei mit künstlerisch überzeugender und selbstbewußter Handschrift, ist der Choreographin hier ein bedeutender Schritt auf ein in vielfacher
Hinsicht grenzüberschreitendes Terrain gelungen. Nishimura, der sich in seinem Werk an der Tradition des Banraku-Theaters orientiert, wollte im Tanz unbedingt
den Charakter dieses japanischen Figurentheaters erhalten wissen, obgleich er selbst in der Orchestrierung seines 1999 komponierten Werks ein ausschließlich
westliches Instrumentarium ins Spiel bringt.

Die Puppenspieler sind es, die den Figuren eine Seele einhauchen. Sarah Leonards weit gefächerter Sopran verleiht ihnen hier eine Stimme. Horn plazierte ihre
Tänzer inmitten des siebenköpfigen Orchesters, inszenierte die Musiker in diesem minimalistischen und dennoch hochdramatischen Kammerspiel gleich mit. Die
zugrundeliegende Geschichte aus dem Kioto des 15. Jahrhunderts um den schaurigen Herrscher Shogun, den fanatischen Künstler Yoshihide und dessen Tochter, die von Shogun begehrt und vom eigenen Vater schließlich für die Kunst qualvoll geopfert wird, mutet da erst mal recht exotisch an. Horn extrahiert aus diesem Geflecht von Willkür, Macht und dem Streben der Kunst nach Wahrhaftigkeit und Schönheit spannungsvolle Raumbilder, findet eine stimmige Balance zwischen
Abstraktion und dramatischer Ausformung der Charaktere in typisierenden Bewegungsmotiven. Dem mächtigen Shogun (Francesco Pedone) stellt sie hier zwei Spieler zur Seite, die ihm mitunter zu weit ausholenden Sprüngen verhelfen. Zu dritt bilden sie ein Triumvirat der Macht, das die Choreographin gleich zu Anfang
etabliert. Breitbeinig sitzt Shogun erhöht im Hintergrund, während seine Spieler (Tanja Berg, Franko Schmidt) zwischen den Musikern seine kantigen Bewegungen
und Gesten spiegeln.

Die Beziehung zwischen den Figuren und ihren Spielern nutzt Horn mit ihren Tänzern als Chance neu gewonnener interpretatorischer Freiheit. Diese traditionell
zwischen Puppe und Führer geschlossene Kluft öffnet sie hier für vielfältige Interaktionen, die Intentionen und innere Konflikte verstärken und nach außen
tragen. Wundervoll gelingt ihr das in der Figur des Malers (Manuel Quero), dessen Führer zum Knecht wird, den er quält und prügelt, um zur eigenen Wahrheit zu
gelangen. Innere Zwiegespräche sind es, in denen sich Seelenlandschaften offenbaren und die mythische Qualität des Stoffs einen zeitgenössischen Ausdruck
findet. Zur höchsten Abstraktion und Transzendenz dieser Sprache findet Horn in der Darstellung der Tochter, gespielt von der japanischen Tänzerin Mu-Yi Kuo. In
sich selbst zurückgezogen, sind es anfangs fein geflochtene Armgesten, die sich hineinwinden in ein Netz aus fliehenden Streicherklängen. In einem fast
unmerklichen Zittern ihres Körpers, als sie im Höllenfeuer verbrennt, erreicht das Drama seinen Höhepunkt.

Die Kooperationsbereitschaft des Orchesters erlaubte es der Choreographin, die Musiker diagonal oder frontal zum Publikum; sitzend oder stehend zu arrangieren.
Die Formationswechsel werden somit Teil der Choreographie. Virtuos und zugleich sparsam, ist das Orchester in Nishimuras Komposition oft nur ein Instrument, das
mit der Sopranstimme in dem sehr transparent wirkenden Gebäude den Faden der Geschichte weiterspinnt, wobei die Sängerin sich außerhalb des Geschehens befindet.
In der beeindruckend konzentrierten Darstellung ihrer Tänzer gelingt es Henrietta Horn, dem Mythos ein neues Gesicht zu geben.