Große Bewegungen und kleine Regungen

NRZ Essen 11.2007
Dagmar Schenk – Güllich

Henrietta Horn eine der beiden Leiterinnen des Folkwang Tanzstudios neben Pina Bausch treibt es mit ihrer Mannschaft hinaus in die weite Welt, doch auch Gastspiele in der Umgebung ihres Stammsitzes an der Werdener Folkwang Hochschule sind für sie interessant. An fünf Abenden erlebt man sie momentan im Forum Kunst und Architektur am Kopstadtplatz. Das sie schlicht eine eingeübte Produktion am neuen Kunstort zeigt ist von der renommierten Choreografin nicht zuerwarten.. Der Experimentierlust lässt sie im Forum, wo die bildenden Künstler und Architekten das Wort haben, freien Lauf.
Und ihre Tänzerinnen und Tänzer elf an der Zahl, hat sie damit gründlich infiziert.
Dialoge heißt ihr Projekt, das bis zum letzten Moment offen bleibt.
An jedem Abend wird nämlich erst gelost. Erst in diesem Moment erfahren die Tänzer, wer sich mit wem zum Stelldichein findet. Musik ist natürlich auch dabei: Peter Eisold, Schlagzeuger und Komponist, klopft und rührt auf Trommel, Pauke, Gong, bewegt und schüttelt alles, was Klang von sich gibt.
Nils Ostendorf, der 2000 den Folkwang – Preis für sein delikates Trompetenspiel erhielt, ist hier atmend, flüsternd und klopfend auf seinem Instrument zu hören, und der Tenor Jürgen Kohl singt nach Herzenslust, mal ganz traditionell die ersten Takte eines bekannten Liedchens, dann frech die Melodien brechend. Er versteht es, auf den jeweiligen Partner oder die Partnerin einzugehen. Da ist er mehr Schauspieler denn Sänger.
Was das eingehen auf den Partner angeht: In der Beziehung zeigt das Folkwang Tanzstudio Feinstarbeit. Keine Geste , kein Ruck, kein Gesichtsausdruck bleibt unbeantwortet. Man erspürt das Wünschen und Wollen des Partners, man kalkuliert seine Antwort auf die eigene Reaktion im Voraus.
Das Dialogisieren umfasst Körpersprache, Mimik, die großen Bewegungen wie die kleinen Regungen. Für die große Sensibilität sei stellvertretend für alle Andrea Maria Mendez Torres im Zusammenspiel mit Hyun Jin Kim genannt, deren Dialog von großer Ruhe und Verständnis für einander und höchst fantasievoller Expressivität geprägt war. Körper und Sprachwitz gehört zu diesen Abenden dazu – wie das so üblich ist bei den Folkwangtänzern, die immer auch zu amüsieren wissen.

Das Folkwang Tanzstudio tanzt „Dialoge” Wortlos

K.West 12.2007
Melanie Suchy

Die Gesprächspartner treffen ohne auswendig gelernten Text, sogar ohne ein Thema aufeinander. Sie tun alles Mögliche, nur Sprechen (fast) nicht. Die Begegnung von je zwei Tänzern oder einem Tänzer und einem Musiker gleicht einem Spiel mit räumlicher und zeitlicher Begrenzung; das Ziel ist ein gemeinsamer Zustand, eine Strecke der Stimmigkeit. Von diesem nicht planbaren Zauber einer Improvisation werden die Musiker(Schlagzeug, Trompete, Tenor) und Tänzer beim Dialoge Projekt des Folkwang Tanzstudios ergriffen – genauso wie das Publikum , hautnah dabei.
In einer Ladenpassage am Ende der Essener Einkaufsmeile bietet die Galerie des Forums für Kunst und Architektur zwei karge Auftrittsorte und einen freundlichen Salon. Riesige Schaufenster verleihen den Bühnen eine interessante Unschärfe durchs spiegelnde Raus- und Reinschauen.

„Dialoge” ist eine Weiterführung von „Freigang” den das Ensemble des FTS im Mai auf Zollverein improvisierte. Die Freiheit macht nicht immer alle Tänzer glücklich, blockiert einige. Doch vieles gelingtan diesem Abend.
Eine Tänzerin leitet ihren Kollegen behutsam an der Hand in Kurven durch den Raum, dann klatschen sie die Hände aufeinander, verhakeln die Knie. Sie hängt sich ihm um den Hals, er trägt sie hierhin und dorthin. Der Schlagzeuger nimmt anschließend an seinen Gerätschaften Platz, gibt Stoff, und eine neue Tänzerin schaukelt mit den schultern und hüpft in die Höhe, vom Beat animiert.
Er stoppt, sie steht, wartet leider immerzu auf die Impulse des Musikers.
Einem anderen Tanzpaar merkt man die Lust am gemeinsamen Erfinden an. Erst treffen einander nur die Augen, dann hüpft sie wie ein Gummiball auf und ab; schaut, dann titschen sie beide, auch ihr Atem wird hörbar im Rhythmus der Sprünge.
Plötzlich brechen sie in Rennen aus.Es braucht so wenig, ein züchtiges Zupfen am Kleidersaum, ein Hüftknick.
Die Improvisationen sind nicht auf Pointen aus. Doch eine feine Situationskomik bricht sich mitunter Bahn. Wiederholungen sind ein Grundelement, deren gutes Timing für gelungene Szenen sorgt. Sie sind das Tasten nach einem Geschehen, nach Weiterentwicklung oder einem Bruch.

Bewegen bis zu den Grenzen des Tanzes

Special Night beendete „Dialoge” des FTS

WAZ 12.2007
Dirk Aschendorf

Du sitzt auf weißem Plüschsofa oder Kugelsesseln im Sixties – Stil, näherst Dich später langsam dem Tanz. Genauer gesagt: den Improvisationen mit und ohne Musik, die Folkwang Tanzstudio(FTS) in der verschachtelten Glasarchitektur der Passage am Kopstadtplatz ausprobierte.
In einer Special Night am Samstag kulminierte die Performance Serie, die alles andere war als seriell.
An fünf Abenden hatte Henrietta Horn, Choreografin und FTS- Leiterin, ihre Kompagnie losgelassen. „Dialoge” nannte sie schlicht dieses offene Format, in dem Tänzer auf Musiker trafen, sich im wahrsten Sinne des Wortes „ausprobierten”, oft genug auch an die grenzen des Ausdrucks stießen. Klar, Spannung lässt sich nicht unbegrenzt halten geschweige denn steigern.
Aber wie in immer neuen, vorher nicht bekannten, Formationen mit – oft auch aneinander gearbeitet wurde, das war auch am letzten Abend anregend, manchmal aufregend.
Neben den Musikern Peter Eisold, Nils Ostendorf und dem Tenor Jürgen Kohl hatte man für die Special Night u.a. den Sänger Jens Thomas oder die niederländische Geigerin Nicoline Soeter gewonnen, die ihr Live Spiel immer wieder mit eigenen elektronisch multiplizierten Elementen nährte. Für die zahlreichen Zuschauer, die Passage und dieRäume des Forums für Kunst und Architektur als wandelhalle nutzten, war sicherlich die Werkstatt-Athmosphäre dieses stetigen Work-in-Progress spannend. Schade, das der Schokoladenbrunnen des Künstlers VA Wölfl an dem Abend im „Kunstverein Ruhr” nicht sprudelte und duftete.