Zutiefst erschüttert erhielten wir Nachricht vom Tod des Schauspielers und Regisseurs Manuel Soubeyrand, der am 27. Dezember im Alter von 65 Jahren verstorben ist.
Foto: Dorit Guenter
Soubeyrand wurde 1957 in eine Kölner Theaterfamilie hineingeboren – seine Eltern waren die erfolgreichen Pantomime-Künstler*innen Jean und Brigitte Soubeyrand. Als Kleinkind übersiedelte Manuel Soubeyrand mit seiner Mutter nach Ostberlin, wo er gemeinsam mit ihr bei Liedermacher Wolf Biermann aufwuchs. Nach einem Studium an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin war er von 1980 bis 1996 als Schauspieler am Berliner Ensemble engagiert. Seit 1993 arbeitet er als freiberuflicher Regisseur und blickt auf rund 70 Inszenierungen zurück. Er war als Gastdozent unter anderem an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch und der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ in Leipzig sowie als Schauspieldirektor am Theater Chemnitz tätig. Nach langjähriger Intendanz an der Württembergischen Landesbühne Esslingen war Soubeyrand von 2014 bis 2022 Intendant der Neuen Bühne Senftenberg.
Zum Wintersemester 2022/23 hatte Manuel Soubeyrand an der Folkwang Universität der Künste eine Gastprofessur für das Fach Praktische Theaterarbeit angetreten. Mit den Studierenden des zweiten Jahrgangs bereitete er Schillers „Jungfrau von Orleans“ vor. Sein Tod trifft uns unvorbereitet. Studierende, Lehrende und Mitarbeitende werden ihn schmerzlich vermissen. Unser tief empfundenes Mitgefühl gilt seiner Familie.
In einem persönlichen Nachruf erinnert sich Folkwang Professorin Daniela Holtz an ihren geschätzten Kollegen:
Manuel Soubeyrand war nicht nur ein hervorragender Lehrer, Theatermann und Künstler. Was ihn in besonderem Maße ausgezeichnet hat war sein wacher Geist und sein unendlicher Erkenntnishunger. Er war im besten Sinne nie fertig. Nicht mit dem Theater, nicht mit den Erscheinungen der Welt und auch nicht mit den Studierenden. Den Satz „Talent ist Interesse“ von Bertold Brecht hat er in ganz besonderer Weise verkörpert. Ob er den Vortrag eines Studierenden über Brecht immer wieder unterbrach mit Zitaten aus einem eigenen Vortrag über Brecht oder unumwunden zugab, dass Judith Butler ihm bisher nicht viel sagte, er aber wahnsinnig interessant findet, was sie denke, alles trug mit der ihm eigenen Neugierde am Gegenüber vor. Immer war es der konkrete Mensch, der ihm gegenübersaß (oder stand), den er in den Mittelpunkt rückte und mit Fragen überzog, die seinem aufrichtigen Interesse entsprangen, etwas erfahren zu wollen. Etwas über die Welt des anderen, über die nächste Generation, über etwas, das er noch nicht wusste oder noch nicht zu Ende gedacht hatte. Bis zum Sommer dieses Jahres war er erfolgreicher Intendant des Theaters in Senftenberg, und er wurde nicht nur von den Künstler*innen dort geliebt und geschätzt, sondern auch von den Zuschauer*innen und den Mitarbeiter*innen des Theaters und der unterschiedlichsten Gewerke am Haus. Dies über viele Jahre lang so aufrecht zu erhalten, über Krisen und kritische Phasen, ist schon eine Leistung an sich. Dass er in seinem Leben auch noch 16 Jahre lang erfolgreich als Schauspieler am Berliner Ensemble tätig war, ganze Studierendengenerationen als Schauspieldirektor in Chemnitz prägte, wo die Schauspielschule Leipzig ihr Studio hatte, ist seine ganz persönliche Errungenschaft. Egal mit wem man sprach: Er war beliebt, weil er als authentisch, geerdet und zutiefst offenherzig beschrieben wurde. Die Menschen fühlten sich von ihm gemeint. Und es gibt nicht wenige Schauspieler*innen oder ehemalige Student*innen, die heute noch beschreiben, dass sie ohne seine Motivation niemals den Mut gefunden hätten, selbst in die Lehre oder in die Regie zu wechseln.
Als wir im letzten Jahr in Ludwigsburg zusammentrafen, im Rahmen des Schauspielschultreffens dort, um das Wintersemester 2022/23 an der Folkwang Universität der Künste zu planen, war er voller Enthusiasmus und Stolz. Sein Leben lang hatte er sich eine Professur gewünscht, sich gewünscht, all sein Wissen und seine Sicht auf Welt mit jungen Menschen teilen zu können und zu hören, wie sie die Welt sehen. Er sah sich die verschiedenen Beiträge unterschiedlicher Schauspielschulen an, und sofort waren wir im Thema; rangen um Bedeutung und Deutung, dachten an Begrifflichkeiten entlang und entwarfen daran einen idealen Lehrplan für das Wintersemester. Wir kamen überein, uns umfänglich mit Friedrich Schiller zu beschäftigen, einem seiner Lieblingsdichter. Als wir im Oktober mit dem Unterricht begannen, war jede gemeinsame Stunde des Teamteachings, die wir entworfen hatten, eine nicht endende Suche nach dem Kern des Stückes „Johanna von Orleans“, nach den großen Fragen der Wurzel von Kriegen, nach Heldentum und Religion. Eine Probe oder eine Lehrstunde war nie die Vermittlung von vermeintlich fertigem Wissen, es war immer der Einstieg in ein großes schillerndes Gefäß voller Fragen und Antworten, denen wir zusammen mit den Studierenden auf den Grund gingen und in dem die Zeit wie durch Zauberhand verrann. Er kaperte die Bühne selbst, gestikulierte, flüsterte ins Ohr der Spieler*innen, animierte sie, wieder und wieder, einen noch besseren, noch spannenderen, noch lustigeren Versuch zu wagen. Es ging nie um richtig und falsch. Es ging um die Lust am Spiel und den Spaß, die Wahrheit noch mehr am „W“ zu kitzeln.
Manuel Soubeyrand hätte sich ohne Schwierigkeiten einfach zurücklehnen und auf seine Lebensleistung blicken können. Ein oder zwei Bücher über sein bewegtes (Theater-)Leben, das vom deutschen Osten ebenso wie vom deutschen Westen geprägt war, verfassen können und aus der Ferne beobachten, wie sich das Theater bei allen bestehenden Krisen so schlägt. Aber genau das wollte er nicht. So wirkte er nicht wie ein Theatermann seiner Generation, er wirkte nicht wie ein abgeklärter Weltversteher oder arrivierter Regisseur. Er wirkte wie einer, der noch immer mitten im Geschehen ist und dort alles genießt: das Lachen, die Tränen, den Zweifel, den Fortschritt ebenso wie den Rückschritt und die Lust am Spiel. Das war es, was er wollte und was er vermittelte: sich ganz hinzugeben auf der Probe, dann wieder einen Schritt zur Seite zu treten und kritisch zu befragen, ob die vermeintliche Wahrheit denn auch wirklich so wahr ist.
Allen -Ismen trat er entschlossen entgegen, ihnen gegenüber hatte er großes Misstrauen. Allen simplen und einfachen Entschlüssen, Wahrheiten und Standpunkten begegnete er mit verschmitztem Weiterfragen. Er hob gerne den allzu gut gesaugten Teppich an, ob auf der Probe oder im strukturellen Bereich, um voller Herz nachzusehen, ob sich darunter nicht doch eine Menge Dreck angesammelt hatte. Er war ein geerdet Handelnder, der mit Verzagtheit und einem schulterzuckenden „Das haben wir immer schon so gemacht“ nicht viel anfangen konnte.
In diesem Sinne war er die Idealverkörperung eines Lehrenden und an einer Hochschule sehr gut aufgehoben. Er war in der Lage, ebenso Sicherheit wie Forderung zu vermitteln, Humor und Leichtigkeit ebenso wie Ehrgeiz für die Sache. Er war ein Sprach- und Chorkünstler, er schien den Texten noch die letzte Silbenbedeutung abzuringen und vermittelte den Spaß, den das machen konnte. Er war viel zu kurz Hochschullehrer. Er hatte noch so viel vor und so viel zu geben. Er war mitten in den Vorbereitungen zum Sommertheater, als er so abrupt aus dem Leben gerissen wurde.
Wir, die Studierenden und ich, werden ihn sehr vermissen. Er war ein wacher Geist, ein alterslos denkender und fühlender Mensch, der für sich das Ausruhen und Zurückblicken nicht gelten lassen wollte. So entlassen wir ihn dorthin, wohin er nun gegangen ist, mit dem Zitat seines Lieblingsdichters: „Das schwere Herz wird nicht durch Worte leicht. Doch können Worte uns zu Taten führen“. (Schiller). Führen sie uns also zu dem Wertekanon, den Manuel Soubeyrand verkörpert hat wie kein anderer: Ein ganzer, anständiger, sich an seinen eigenen Werten der Menschlichkeit und Hingewandtheit orientierender Mensch zu sein, der mehr geben als nehmen will. Manuel, wir werden dich unendlich vermissen.
Daniela Holtz, Professorin für Praktische Theaterarbeit
30. Dezember 2022