Folkwang

folkwang ist…schwarmintelligent

Analoge Quellen werden digital: In seinem E-Learning-Seminar „Quellenkunde“ erstellt Wolfgang Kostujak, der an Folkwang Historische Aufführungspraxis lehrt, gemeinsam mit seinen Studierenden ein Online-Glossar. Dort sollen alle Quellen des 17. und 18. Jahrhunderts verzeichnet werden, die für das Studium der historischen Aufführungspraxis unerlässlich sind. Wie das Konzept funktioniert und welche Erkenntnisse er aus der Projektarbeit für die Corona-Situation gewinnt, erzählt Wolfgang Kostujak im Interview.

Wolfgang Kostujak, Foto: Frank Gronau
Wolfgang Kostujak, Foto: Frank Gronau

Wie kamen Sie auf die Idee, ein Glossar für historische Aufführungspraxis zu entwickeln?

Vor viereinhalb Jahren habe ich das Seminar „Quellenkunde“ an Folkwang übernommen. Ein Thema, das im ersten Moment etwas angestaubt wirkt, das aber für alle Studierenden, die sich mit Alter Musik beschäftigen, enorm wichtig ist. Deshalb kam mir der Gedanke, es mit digitalen Möglichkeiten zu modernisieren. Mein Ziel war, eine quellenübergreifende Plattform auf den Folkwang Servern zu etablieren, die einen bibliographischen Überblick zu allen relevanten Quellen der historischen Aufführungspraxis im 17. und 18. Jahrhundert bietet. Schließlich kann nicht jede*r Studierende jede Quelle lesen. Es ist viel sinnvoller, sich zu vernetzen und das eigene Wissen mit anderen zu teilen. Schwarmintelligenz ist hier das Stichwort.

Wie arbeiten Sie mit Ihren Studierenden an dem Glossar?

Die Vorarbeit geschieht analog im Hörsaal: Die Quellen werden in Form von Referaten erarbeitet und im Seminar diskutiert. Anschließend geht es digital weiter: Die Studierenden beschreiben und verschlagworten Quelleninhalte, ihre Autor*innen sowie Aspekte wie Form, Rezeptionsgeschichte und Verbreitung im Online-Glossar. Durch diese intensive Auseinandersetzung mit den Quellen geben die Studierenden nicht nur ihr Wissen weiter, sondern schulen auch ihre eigene Lesekompetenz.

Screenshot Quellenkunde neu
Einblick in das Online-Seminar "Quellenkunde" (v.l.n.r.): Lena Frömmel, Johanna Huber, Fabienne Kirschke, Melchior Kupke und Wolfgang Kostujak. Screenshot: Wolfgang Kostujak

Wie ist das Glossar aufgebaut?

Die Software und ihre Oberfläche sind recht einfach gestaltet, was rein technisch den Vorteil hat, dass nicht so viele Kapazitäten gebunden werden. Das Glossar an sich ist alphabetisch geordnet. Neben dem Schlagwortkatalog gibt es auch eine Volltext-Suchfunktion sowie Bilder und Hinweise zu Onlineressourcen. Für die überwiegende Anzahl an Artikeln enthält das Glossar zudem vollständige Digitalisate der Quellen, die zum Teil exklusiv für das Projekt gescannt wurden. Speziell die Schlagworte müssen gut überlegt sein: Welche Stichworte sind überhaupt relevant? Wie kleinteilig sollen sie sein? Mit welchen Synonymen arbeiten wir?

Wie viele Beiträge sind bisher erfasst?

Stand heute verzeichnen wir rund 150 Schlagworte – von Acciacatur bis Zupfinstrumente. In den letzten drei Jahren haben wir insgesamt 30 Quellen bibliographisch erfasst und verschlagwortet. Insgesamt gibt es etwa 120 Quellen, die für das Studium der historischen Aufführungspraxis unverzichtbar sind. Wenn wir diese irgendwann alle verzeichnet haben, sind wir super aufgestellt. Es ist eine schöne Vorstellung, dass das Glossar über die Jahre hinweg von vielen Folkwang Generationen erweitert und gepflegt wird.

Welche Resonanz gibt es bisher?

Ich freue mich, dass meine Studierenden das Projekt so begeistert angegangen sind. Mittlerweile unterstützen uns auch Kommiliton*innen aus anderen Studiengängen, beispielsweise aus der historischen Musikwissenschaft, aber auch aus den Fächern der modernen Musik. Außerdem profitieren wir von dem Wissen unserer internationalen Studierenden, die Quellen in ihren Heimatsprachen für uns bearbeiten und verschlagworten.

Athanasius Kircher Musurgia universalis Rom 1650
Wird gerade von Wolfgang Kostujak für das Online-Glossar vorbereitet: Die "Musurguia universalis" von Athanasius Kircher, Rom, 1650

Soll das Glossar auch für Nicht-Studierende geöffnet werden?

Den Gedanken habe ich auf jeden Fall im Hinterkopf. Aber bevor es soweit ist, müssen wir die Software sicher noch etwas optimieren. Im Moment würde ich das Glossar als Lokomotive beschreiben, die zwar schon ganz gut läuft, die aber hier und da noch etwas dampft und quietscht. 

In Zeiten von Corona sind digitale Lehrmethoden unerlässlich. Welche Erfahrungen aus Ihrer Arbeit an dem Online-Glossar helfen Ihnen in der jetzigen Situation?

Ich habe den Eindruck, dass uns die Corona-Situation die Möglichkeit gibt, mehr Freude an den digitalen Spielplätzen zu entwickeln. Die wurden bisher zum Teil nämlich etwas stiefmütterlich behandelt. Natürlich fühle ich mich angesichts der vielen Arbeit, die das Glossar mit sich bringt, manchmal ganz klein. Aber davon darf man sich davon nicht blockieren lassen.

Welchen Rat haben Sie für Studierende in der aktuellen Situation?

Zuhause bleiben bedeutet nicht, dass man gar nichts mehr tun soll. Statt am Instrument zu üben, kann ich mich gerade in der Isolation zum Beispiel intensiv mit einem Buch beschäftigen und so mein Wissen erweitern. Momentan bereite ich für das Glossar beispielsweise die ‚Musurgia universalis‘ von Athanasius Kircher aus dem Jahr 1650 vor, eine richtige ‚Mammutquelle‘, für deren Lektüre mir ohne Corona sicherlich die Zeit gefehlt hätte. Auch wenn die Maßnahmen zur Corona-Bekämpfung im ersten Moment restriktiv erscheinen – für das Lernen bieten sie auch Chancen.

Kristina Schulze, Hochschulkommunikation