Folkwang

Folkwang trauert um Jean Cébron

Der Tänzer, Choreograph und frühere Professor für Modernen Tanz ist am 1. Februar 2019 im Alter von 91 Jahren in Sables-d'Or-les-Pins/Bretagne, Frankreich, gestorben.


Cébron wirkte seit 1972, über 25 Jahre, an Folkwang, davon 15 Jahre als Professor.  Er war eine prägende Persönlichkeit für den Folkwang Tanz und viele Generationen Studierender wie auch Lehrender. Und er verkörperte selbst den originären Folkwang Gedanken von der Verbindung der Künste, studierte er doch neben Tanz auch Malerei und Komposition.


Lutz Förster, Schüler von Cébron und Folkwang-Professor für Zeitgenössischen Tanz, erinnert sich in einem persönlichen Nachruf: „Sein Unterricht war geprägt von einer großen Liebe zum Tanz und von der Liebe zu den Menschen, die er unterrichtete.


Stefan Hilterhaus, Absolvent der Folkwang Universität der Künste, würdigt Jean Cébron als „Universalgelehrten und Vermittler des Tanzes“.

Jean Cébron, Foto: Georg Schreiber

Jean Cébron, Foto: Georg Schreiber

 

Der Meister der Zwischentöne

Lutz Förster erinnert sich an Jean Cébron


Meinen ersten Unterricht an Folkwang mit Jean Cébron hatte ich im Jahre 1975, danach war nichts mehr wie vorher. Scheinbar einfache Übungen entpuppten sich als überaus komplexes Gebilde, welche Jean in der Folge in ihre Bestandteile zerlegte, analysierte, dabei diverse Möglichkeiten dynamischer und räumlicher Bewegungsdifferenzierung aufzeigte und seinen Exkurs lächelnd mit den Worten beendete: „Es ist eigentlich ganz einfach“. Ich persönlich bezweifelte das zunächst, aber nach einer Phase der Irritation und Faszination war klar, es hatte mich gepackt - er hatte mich gepackt.


In meinem letzten Studienjahr 1977 schlug Jean vor, sein Duett „Receuil“, das er 1964 für sich und Pina Bausch choreographiert hatte, einzustudieren. An eine öffentliche Aufführung dachte er dabei nicht. An diesem gerade einmal 18-minütigen Werk arbeiteten wir dann fast täglich - sieben Monate lang. Sein Einfallsreichtum war unerschöpflich. Wir übten, improvisierten, analysierten aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln, mal ging es um die Musik, dann um Bewegungen, um Raum um uns, um Raum zwischen uns, um Timing, um Blicke, um Hände. So wurde „Receuil“ zu einem zentralen Bestandteil unseres Lebens.

 

Dann plötzlich Anfang Mai 1978, nach fünf langen Monaten intensiver Arbeit, überraschte uns ein anderer, ungewöhnlich ernsthafter Jean mit der Mitteilung, dass er sich bei weiterer intensiver Arbeit vielleicht, unter Umständen, eventuell eine öffentliche Aufführung von “Recueil“ beim Tanzabend vorstellen könnte. Die nächste Überraschung kam etwa zwei Wochen vor der Premiere. Er hörte plötzlich auf, uns zu korrigieren und sagte mit einem herzlichen Lächeln: 'Jetzt wisst ihr alles, vergesst mich und macht es zu eurem Eigenen'. Die Premiere fand statt - und wieder lächelte Jean. Ich hatte das große Glück, dass Jean mir auch nach meinem Studium erhalten blieb.

 

Er unterrichtete regelmäßig beim Tanztheater Wuppertal Pina Bausch und als ich in New York bei der Limón Company war, lud ich ihn ein, zu unterrichten und seine Choreographien einzustudieren. 1988 kam ich zum Unterrichten zurück nach Folkwang und war froh, ihn als Freund und Ratgeber zur Seite zu haben.

 

Er sprach nicht viel über seine Vergangenheit, am ehesten über seine Mutter und erste Ballett-Lehrerin Mauricette Cébron, Solistin an der Pariser Oper, über Sigurd Leeder, bei dem er in London studierte, Ted Shawn, der ihn in die USA holte und vor allem Kurt Jooss, dessen Stücke er beim Ballet Nacional Santiago de Chile und beim Folkwangballett tanzte. Jeans Interpretation des „Todes“ in der Choreographie „Der Grüne Tisch“ von Kurt Jooss bleibt nicht zuletzt auch durch die Fernsehfassung des WDR unvergessen.


Beim Folkwang-Ballett tanzte und choreographierte er von 1961-67. Seine Choreographien, besonders die Duette, die er für Pina Bausch und sich selbst kreierte, erlangten weltweite Beachtung. Nach Aufenthalten in Stockholm und Rom kehrte Jean Cébron 1976 an die Folkwang Hochschule zurück und prägte fortan Generationen von Folkwang-Tänzern, war Inspiration und Vorbild für seine Kollegen und lebendiges Beispiel für eine humane Folkwang Tanzausbildung, bis er sich 1999 im Alter von 72 Jahren von Essen verabschiedete.

 

Er verband seine Sichtweise der Jooss-Leeder-Methode mit der des Ballett-Pädagogen Enrico Cecchetti und einer ganz persönlichen, zutiefst menschlichen Art zu unterrichten. Gerne zitierte er einen Satz der berühmten Cecchetti-Lehrerin Margaret Craske: „Dance must be human, if it is not human, you might as well forget it”.

 

Jean Cébron war ein Mann mit vielen Talenten, neben Tanz studierte er Malerei und Komposition. Anlässlich seines offiziellen Ruhestandes veranstalteten wir in der Neuen Aula einen Abend mit Choreographien und Kompositionen von Jean Cébron, wobei er selbst auch als Musiker mitwirkte und im Foyer war eine Ausstellung mit seinen Zeichnungen und Skizzen zu sehen. Es wurde ein großer Erfolg und ein bewegender Abend. Anschließend gingen wir gemeinsam durch die Ausstellung sprachen über seine von großer Sorgfalt geprägten Zeichnungen und Kompositionen. Er grübelte und unvermittelt sagte er: „Ich hätte es besser machen können“.

 

Mit Jean zu studieren und zu arbeiten war ein tägliches Abenteuer, immer voller Überraschungen, Spontaneität, Grenzgängen, Schweiß, Spaß und Freude. Sein Unterricht war geprägt von einer großen Liebe zum Tanz und von der Liebe zu den Menschen, die er unterrichtete. Er bediente sich einer sanften Eindringlichkeit, hatte unendliche Geduld und vor allem Humor. Als ein „Juwelchen“ bezeichnete ihn Pina Bausch. Große Worte waren nicht sein Ding, die überließ er anderen und zitierte Kurt Jooss, Margaret Craske und immer wieder gerne den französische Moralisten Francois de la La Rochfoucauld: „Pour bien savoir les choses, il en faut savoir le détail“ („Um die Dinge gut zu kennen, muss man die Details kennen"). Und um Details ging es. Bei Jean immer.

 

Lieber Jean, ich bin froh und stolz, dich als Lehrer, aber vor allem als Freund in meinem Leben gehabt zu haben und ich bin sicher, dass du mich auch weiterhin begleiten wirst und ich danke dir, dass du mein Leben bereichert hast.

 

Jean Maurice Cébron starb am 1. Februar 2019 im Alter von 91 Jahren in Sables-d'Orles-Pins/Bretagne, Frankreich.

 

 

Stefan Hilterhaus über den Hintergrund von Jean Cébron:

 

Jean Cébron, ein Universalgelehrter und Vermittler des Tanzes, ist am 1. Februar 2019 im Alter von 91 Jahren in  Sables dór les Pin in der Bretagne, Frankreich, gestorben.


Cébron war Solist und Lehrer beim Folkwangballett Essen unter der Leitung von Kurt Jooss, dem Gründer der Folkwang Schule in Essen. 1976 wurde er zum Professor berufen. Darüber hinaus wirkte er als Trainingsleiter des Folkwang-Tanzstudios und des Wuppertaler Tanztheaters, beide unter der Leitung von Pina Bausch.


Er studierte bei Sigurd Leeder, einem Schüler Rudolf von Labans in London sowie die klassische Technik Cecchetti an der Metropolitan Ballet Opera School, in New York, wo er auch als Lehrer und Choreograph der José Limon Company wirkte. Weitere Stationen waren das Ballet National Santiago de Chile und Cébron als Solist, die staatliche Akademie in Stockholm, wo er den Studiengang Choreografie leitete, sowie die Accademia nazionale di danza in Rom als Professor für Modernen Tanz.


Als Ausnahmepädagoge und -künstler verknüpfte er, auf Grundlage der Cecchetti-Technik und der Jooss-Leeder-Methode, sein Wissen aus Musik, Malerei, Fotografie, Film, Anatomie und Physik zu einem mehrdimensionalen, umfassenden Körperverständnis und vielschichtigen Bewegungsstudium.


Seine Arbeit lebt im Curriculum und unter den Lehrenden der Folkwang Universität der Künste ebenso weiter, wie er eine Generation an Tanzschaffenden in zahlreichen Ländern geprägt und zu Eigenem inspiriert und ermutigt hat.

 

 

 

 

Die Studierenden des Instituts für Zeitgenössischen Tanzes der Folkwang Universität der Künste
zeigten auf der Grundlage einer in Kinetographie Laban notierten Etüde von Jean Cébron ihre Lesart.

04. Februar 2019