Folkwang

Willkommen an Folkwang… Vera!

Endlich ist er da. Gerade durch den Briefschlitz gefallen. Man hebt ihn auf, hält ihn einen Moment lang in den Händen, betrachtet ehrfürchtig den blauen Stempel: Folkwang Universität der Künste steht da. Unübersehbar. Dann bricht einem der Schweiß aus.


Hastig versucht man den Brief mit dem Daumen aufzuschlitzen, es klappt nicht so recht, die Hände zu feucht. Schließlich reißt man ihn einfach auf, ganz ohne Gewalt geht es eben doch nicht. Und dann knallen die Sektkorken. Denn oben unter der Bewerbernummer steht fettgedruckt: Zulassung zum Studium. 

Vera Fiselier c Stamatis Xanthoulis

Vera Fiselier c Stamatis Xanthoulis

 

Es ist der entscheidende Augenblick für alle KünstlerInnen, die sich auf einen Studienplatz an der Folkwang Universität der Künste in Essen bewerben. Auch dieses Jahr gingen in den verschiedenen Bereichen Musik, Theater, Tanz, Gestaltung und Wissenschaft wieder zahlreiche Bewerbungen ein.

Doch das Kontingent an freien Studienplätzen ist begrenzt und nicht alle BewerberInnen können zum Studium zugelassen werden.

Umso größer die Freude, wenn man einen der hart umkämpften Studienplätze ergattert.

Dabei ist das erst der Anfang.  

Folkwang Studiscouts treffen neue Studierende der Folkwang Universität der Künste und sprechen mit ihnen über ihre Erwartungen, Träume, Hoffnungen und, ja, auch Ängste.

Lisa Koenig unterhielt sich mit Vera Fiselier.

 

Singe, wem Gesang gegeben!


Veras Augen leuchten. Ihre blonden Korkenzieherlocken umrahmen ihr Gesicht, fallen ihr locker über die Schultern. Sie strahlt in die Kamera, schaut erwartungsvoll. Selbst über die schlechte Skype-Verbindung lässt sich ihre Vorfreude nicht verbergen. Wir tauschen uns ein bisschen aus, über alte Zeiten, über Den Haag. Schließlich habe ich dort auch einmal studiert.


Erst kürzlich schloss die gebürtige Holländerin am Königlichen Konservatorium Den Haag ihren Bachelor im klassischen Gesang ab - und zwar mit der Note „9 mit Auszeichnung“, eine Zensur, über die sich nur wenige Studierende bei ihrem Abschluss freuen dürfen.

Kein Wunder, denkt man sich, betrachtet man einmal Veras Familie. Die Mutter Sängerin im niederländischen Rundfunkchor (Groot Omroepkoor), der Vater festangestellt im Opernchor, wo auch schon Veras Großvater sang, der Onkel Dozent an der Musikhochschule: Vera nahm das klassische Gesangsrepertoire im wahrsten Sinne des Wortes mit der Muttermilch auf.


„…Während einer Produktion in der Schule musste ich auf der Bühne schreien. Das hat mir solche Angst gemacht!“


Ihren Namen erhält sie aus der Oper „La Vera Constanza“.

Trotz ihres familiären Umfeldes und des starken Fokus auf Gesang, beginnt Vera im Alter von sechs Jahren aber erst einmal Klavier zu spielen. Sie übt fleißig, denkt sogar später kurz darüber nach Pianistin zu werden, doch dann findet sie selbst Gefallen am Singen.

Sie übernimmt Rollen in verschiedenen Musicalproduktionen, spielt als Jugendliche u.a. einen Geier in „Das Dschungelbuch“. Außerdem tritt sie der Schultheatergruppe bei. Früh entdeckt sie die Liebe zur Bühne - doch Vera ist schüchtern. „Ich erinnere mich, dass ich während eines Stückes in der Schule auf der Bühne schreien musste. Das hat mir solche Angst gemacht!“, lacht sie.


Sie schließt die Schule sehr gut ab, will trotzdem Gesang studieren


Der Gesang bleibt für sie lange Zeit erst einmal ein Hobby. Vera konzentriert sich haupt-sächlich auf die Schule, schließt sehr gut ab. Erst relativ spät, mit 18, keimt der Wunsch in ihr auf, professionelle Opernsängerin zu werden. Ihr Umfeld hat dafür zunächst wenig Verständnis. „Ich schloss Cum Laude ab und jeder fragte mich: ,Was? Du willst Sängerin werden?’“

Doch einen Plan B gibt es für die damals 19-jährige Nachwuchssängerin nicht. Glückli-cherweise ist sie durch ihre Familie von klein auf mit dem klassischen Vokabular vertraut, sodass sie trotz ihrer späten Entscheidung für die Gesangskarriere nach nur einem Vorbereitungsjahr am Konservatorium in Den Haag ihr Studium beginnen kann.


„…Es ist Zeit für etwas Neues und ich denke, das kann ich in Essen finden“


Ab Oktober diesen Jahres wird Vera an der Folkwang Universität der Künste in Essen „Gesang/Musiktheater“ im Bachelor studieren. Und das, obwohl sie in Den Haag einen Master-Studienplatz im klassischen Gesang gehabt hätte. Doch die Sängerin sehnt sich nach einem neuen Umfeld, einem neuen Abenteuer. „Meine Art zu singen verdanke ich Den Haag. Aber es ist Zeit für etwas Neues und ich denke, das kann ich in Essen finden!“

Zusammen mit ihrer Dozentin Rachel Robins möchte sie in den nächsten Jahren weiter an ihrer Gesangstechnik feilen. „Ich möchte mehr darüber erfahren, welche Art Sängerin ich bin, mehr über meine Stimme wissen,“ so Vera, aber vor allem hofft sie, an der Folkwang tiefere Einblicke in die Materie „Oper“ zu bekommen, denn genau da sieht sie ihre Zukunft.

Auch in Den Haag schnupperte die holländische Sängerin 2016 bereits erste professionelle Opernluft: Im Rahmen des von der Dutch National Opera Academy organisierten Projektes „Cendrillon“ spielte sie die Rolle der bösen Stiefschwester Dorothée. Das brachte sie auf den Geschmack.

Nun hat sich das insbesondere für Barockmusik berühmte Koninklijk Conservatorium es zwar zur Aufgabe gemacht, klassische SängerInnen breit gefächert auszubilden - nicht nur in der Oper sollen sie sich bewegen können, auch eine Karriere als „KonzertsängerIn“ soll ihnen offen stehen - Vera jedoch vermisste die Möglichkeit der vollen Konzentration auf einen der beiden möglichen Berufswege, in ihrem Fall auf den Operngesang, empfand sie doch während ihres Studiums den größten Spaß an den einwöchigen Musiktheaterprojekten.


„Es machte mich […] superglücklich, als meine Stunden bei Prof. Robins hatte und entdeckte, dass sie mich wirklich weiterbringen kann!“


Jetzt wittert sie ihre Chancen in Deutschland mithilfe der Folkwang Universität der Künste richtig in die Opernausbildung einzusteigen.

Dass sie zusammen mit Rachel Robins auf ihr Ziel hinarbeiten darf, freut sie ungemein. Bevor sie offiziell in Essen vorsang, nahm Vera bereits zwei Unterrichtsstunden bei der Dozentin aus England.

„Mein Freund erzählte mir so viel Gutes über die Folkwang. Aber natürlich ist es ohne die Aussicht auf einen guten Lehrer als Sängerin ein großes Risiko einfach irgendwo hinzu-gehen. Es machte mich also superglücklich, als ich meine Stunden bei Prof. Robins hatte und entdeckte, dass sie mich wirklich weiterbringen kann.“

Auch auf ihre MitstudentInnen freut sich Vera sehr. Einige ihrer KommilitonInnen kennt sie sogar bereits: Auf einem Liedkurs-Konzert vor einigen Wochen hieß man sie herzlich willkommen, integrierte sie in die Gruppe. Vera fühlte sich in der warmen Atmosphäre sofort wohl. Trotzdem wird sie Familie und Freunde in den Niederlanden vermissen.


Sie verliert sich gerne in Tagträumen


Neben dem Singen liest Vera viel und gerne. Um den Kopf frei zu bekommen, geht sie außerdem joggen. Als Jugendliche besuchte sie die Tanzschule, nahm Unterricht in Standard und Latein bis Gold Star. Als ich ihr erzähle, dass sie im Rahmen ihres Studiums wieder Tanzunterricht bekommen wird, leuchten ihre Augen noch mehr. „Ich habe auch gehört, dass man Fechten lernen muss“, sagt sie begeistert. Das fasziniert die Holländerin, die sich sonst auch gerne einmal in Tagträumen verliert. „Ich kann wirklich vor mich hinstarren und stundenlang über etwas sinnieren.“

Ende September wird Vera ihr Studium an der Folkwang Universität der Künste mit dem Projekt „Fairy Queen“ beginnen. Ihren Umzug nach Essen hat sie bereits hinter sich.

Die letzten Ferientage verbringt sie in Holland im Kreise ihrer Familie. Eine Familie mit einer jahrelangen Tradition angefangen bei ihrem Großvater, der sich als junger Mann weigerte ins Unternehmen seines Vaters einzusteigen und sich stattdessen beim

Niederländischen Opernchor bewarb. Diese Tradition wird Vera nun weiterführen. Auf in ein neues Abenteuer…. 

 

Fotos: Stamatis Xanthoulis (Portrait), Andy Doornhein (Bühnenfoto „Das Dschungelbuch“), Jan Hordijk („Cendrillon“), privat (Kinderfoto)


Ein Beitrag im Rahmen des Projekts „Folkwang StudiScouts“.

 

 

 

Vera Fiselier Musical Das Dschungelbuch c Andy Doornhein
Vera Fiselier Cendrillon c Jan Hordijk
Vera Fiselier Kinderfoto c privat

Lisa Koenig / 04. Oktober 2017