Folkwang

Willkommen an Folkwang... Valentina!

Endlich ist er da. Gerade durch den Briefschlitz gefallen. Man hebt ihn auf, hält ihn einen Moment lang in den Händen, betrachtet ehrfürchtig den blauen Stempel: Folkwang Universität der Künste steht da. Unübersehbar. Dann bricht einem der Schweiß aus. Hastig versucht man, den Brief mit dem Daumen aufzuschlitzen, es klappt nicht so recht, die Hände zu feucht. Schließlich reißt man ihn einfach auf. Und dann knallen die Sektkorken. Denn oben unter der Bewerbernummer steht fettgedruckt: Zulassung zum Studium.

Foto: Mariana Garcia

Foto: Mariana Garcia

 

Es ist der einer der entscheidenden Augenblicke für alle KünstlerInnen, die sich auf einen Studienplatz an der Folkwang Universität der Künste bewerben. Auch dieses Jahr gingen in den verschiedenen Bereichen Musik, Theater, Tanz, Gestaltung und Wissenschaft wieder zahlreiche Bewerbungen ein. Doch das Kontingent an freien Studienplätzen ist begrenzt und nicht alle BewerberInnen können zum Studium zugelassen werden. Umso größer die Freude, wenn man einen der hart umkämpften Studienplätze ergattert. Dabei ist das erst der Anfang. Folkwang StudiScouts treffen neue Studierende an Folkwang und sprechen mit ihnen über ihre Erwartungen, Träume, Hoffnungen und, auch über Ängste. Lisa Koenig unterhielt sich mit der Tänzerin Valentina Restrepo.

In den Semesterferien trainierte Valentina im Jazz-Department

Dass Tanzen in ihrem Leben eine tragende Bedeutung hat, das weiß sie schon lange. Dass sie es einmal zu ihrem Beruf machen möchte, hätte Valentina bis vor vier Jahren jedoch nicht gedacht. Ich treffe die 1997 geborene Kolumbianerin in der Küche des Jazz-Departments, denn, obwohl sie nicht Jazz studiert, kennt sie sich hier aus, fühlt sich wohl. Fast täglich kam Valentina in der vorlesungsfreien Zeit nachmittags zum Wesselswerth – dem Haus für die Jazzer in Essen-Werden, um zu den Rhythmen des ebenfalls aus Kolumbien stammenden Jazz-Schlagzeugers Mateo Sinning zu improvisieren. Da die 20-jährige Tänzerin ihre Folkwang-Card erst zu Semesterbeginn erhielt und deshalb vorher noch keinen Zugang zu den Tanzstudios hatte, war dies ihre einzige Möglichkeit nicht ganz aus dem Training zu kommen.
Die Haare ordentlich zurückgesteckt und mit strahlenden Augen sitzt Valentina mir gegenüber auf der Couch. Im Interview gibt sie sich offen, lacht viel. Ihr Handy hat sie immer parat, um schnell einmal ein Wort nachzuschlagen. Da sie sich im Deutschen noch nicht so sicher fühlt, erzählt sie mir ihre Lebensgeschichte auf Englisch.

 

Auch folkloristische Tänze begleiten Valentina schon seit ihrer Kindheit, hier bei der Figur „ancestros“ im Theater „Pablo Tobón Uribe“ in Medellin | Cristian Cardenas

 


 

Tanz?...oder doch Hotelbusiness?

Vormittags Schule, nachmittags Ballett: Von klein auf bestimmte Tanz Valentina Restrepos Leben. Am 24.01.1997 in Medellín, Kolumbien, geboren und aufgewachsen, nahm sie als Mädchen hauptsächlich Ballettunterricht und besuchte zusätzlich Kurse in kolumbianischer Folklore sowie Jazztanz. Auch Tänze wie die Salsa begleiteten die junge Tänzerin von Kindesbeinen an. „Aber mehr auf Partys, nicht professionell. In Kolumbien weiß jeder, wie man Salsa tanzt. Meine Familie feiert eine Party? Ok, lasst uns tanzen! Dann brachte es mir entweder meine Großmutter oder mein Onkel oder eine Kusine bei. Wir tanzen bei allem. Wir brauchen nicht einmal Musik, um zu tanzen“, erklärt Valentina. Mit 16 Jahren dann der Schulabschluss. Valentina muss sich entscheiden. Tanz? Oder doch lieber die Ausbildung im Betrieb ihrer Eltern? Denn die leiteten schon damals erfolgreich ein Hotel an der pazifischen Küste und nicht selten liebäugelte Valentina damit, selbst ins Hotelbusiness einzusteigen. Nach einem halben Jahr Pause entschied sie sich schließlich doch für die professionelle Tanzkarriere.

Um Geld zu verdienen, gab sie Ballettunterricht in einem Schwimmverein

Sie begann ein Studium der „Tanzpädagogik“. Zwei Jahre, dann brach sie ab. Denn sie wollte richtig Tanz studieren - und zwar in Deutschland an der Folkwang Universität der Künste. Doch Deutschland ist teuer und die finanzielle Unterstützung ihrer Eltern genügte nicht, um ein Visum beantragen zu können. Valentina brauchte Geld. Deshalb unterrichtete die 18-Jährige fast zwei Jahre Ballett für Synchronschwimmerinnen im Schwimmverein. Zusätzlich arbeitete sie zehn Monate als Tänzerin in einer Disco. „Aber auf eine gute Art“, lacht sie, „Wir hatten richtige Auftritte, zum Beispiel in Gedenken an Michael Jackson oder zu Ehren von Beyonce?, solche Dinge.“

„Meine Mama sagte: "Valen, du brauchst einen Plan B."

Im Juli 2017 tanzte Valentina Restrepo schließlich an der Folkwang Universität der Künste vor - und sicherte sich einen Studienplatz. Zum Glück, denn an anderen Hochschulen hatte sie sich nicht beworben. Nichtbestehen war keine Option. Mehrere Institutionen schaute sie sich damals online an, aber die Folkwang gefiel ihr am besten. Außerdem wären die Reisekosten zwischen den einzelnen Hochschulen innerhalb Deutschlands einfach zu hoch gewesen. „Meine Mama sagte: ‚ Valen, du brauchst einen Plan B.‘Und ich sagte: ‚Nein Mama, das ist der einzige!“

„Es ist schön hier anzukommen und zu sehen, wie es wirklich ist“

In Deutschland gefällt es der Nachwuchstänzerin aus der Großstadt sehr gut. Besonders schön findet sie es, dass in Essen alles so nah und leicht zu erreichen ist. „Die Stadt, in der ich vorher lebte, ist so groß im Vergleich.“ Außerdem mag sie die freundliche Art der Bewohner des Ruhrpotts. „Wenn man über Deutsche nachdenkt, denkt man natürlich oft an diese Sache...“ spielt sie auf die dunklen Seiten der deutschen Geschichte an, „aber so ist das nicht. Es ist schön hier anzukommen, und zu sehen wie es wirklich ist.“
Bereits vor Studienbeginn beschäftigte sich Valentina damit, die deutsche Sprache zu erlernen. Von August bis September besuchte sie den von der Folkwang Universität der Künste angebotenen Sommer-Intensivkurs. Um körperlich fit zu bleiben, fuhr sie neben den täglichen Jam-Sessions mit Mateo Sinning außerdem Fahrrad. Dass Essen ein wenig hügelig ist, macht ihr nichts aus, im Gegenteil: „Was? Komm schon! Ich mag das!“, antwortet sie da nur.

 

 

Valentina beim „Free your Style“- Festival in Medellin | José Luis Arroyave

 

„Es geht nicht nur um Technik.“

Was ihr Studium angeht, ist Valentina in erster Linie neugierig. Sie möchte alles „aufsaugen wie ein Schwamm“, so die gebürtige Kolumbianerin. Besonders angetan ist sie von Malou Airadou, die selbst in zahlreichen Stücken von Pina Bausch tanzte und damit eine prägende Rolle für das Tanztheater Wuppertal spielte. „Ich denke, ich mache schon einen ganz guten Job, aber ich bin noch nicht da, wo ich hin möchte!“, so Valentina. Denn vor allem will die 20-Jährige ganz zu sich selbst finden, das Gelernte in etwas eigenes, „Wirkliches“ verwandeln. „Es geht nicht [nur] um Technik. Du kannst alle Technik der Welt haben, aber was machst du damit? Das ist wichtig für mich herauszufinden“, erklärt sie. Wenn sie tanzt, dann möchte sie die Leute berühren. Am schönsten findet sie es, wenn sie nach der Show von der Bühne kommt („nicht als Tänzerin, als normale Person“) und man ihr sagt: „Hey, ich mag dich, du hast etwas in mir bewegt.“
Wenn sie anderen beim Tanzen zuschaut, hat Valentina manchmal Momente, in denen sie denkt: „Oh mein Gott, er ist so gut!“ Aber dann fällt ihr wieder ein: Er ist so gut, weil er eben er selbst ist.
Valentina möchte gut sein. Weil sie eben sie selbst ist.

 

Ein Beitrag im Rahmen des Projekts „Folkwang StudiScouts“.

 

Lisa Koenig / 08. März 2018