Folkwang

Willkommen an Folkwang... Faris!

Faris Saleh ist 26 Jahre alt und für sein Physical Theatre Studium an der Folkwang Universität der Künste aus Palästina nach Deutschland gezogen. Studiscout Henriette Lips hat sich mit Faris über seine Reise und seine bisherigen Erfahrungen unterhalten:

Ich besuche Faris in seiner Wohnung in Bochum. Als ich die Treppe zu seiner Wohnung hochlaufe, empfängt er mich mit einem strahlenden Lächeln und einer herzlichen Umarmung. Wir gehen in seine Küche, er kocht Tee und ich drehe mir eine Zigarette. Faris und ich unterhalten uns auf Englisch mit ein paar deutschen Worten zwischendurch. Ich habe das Interview zum leichteren Verständnis ins Deutsche übersetzt. Die englische Version des Interviews ist unten als PDF verlinkt.

Foto: Mats Süthoff

Foto: Mats Süthoff

 

Henriette: Faris, wie bist du überhaupt dazu gekommen aus Palästina wegzugehen, um in Deutschland zu studieren? Vor allem so einen außergewöhnlichen Studiengang wie Physical Theatre?

Faris: Ich habe in Palästina schon drei Jahre Schauspiel studiert und war nach meinem Abschluss einfach nur geschockt wie klein der Markt für Schauspieler dort ist. Doch ich brauchte Geld, um überleben zu können. Also übernahm ich mehrere kleine Jobs, teilweise war das Sozialarbeit, teilweise habe ich bei Projekten mitgewirkt, aber das war sehr schwer…
Die Folkwang Universität der Künste war mir vor allem deshalb ein Begriff, weil sie eng mit meiner Schauspielschule, der Drama Academy Ramallah, zusammenarbeitete. Bei einem der von beiden Hochschulen gemeinsam organisierten Projekte habe ich dann auch meine Freundin kennen gelernt. Als ich jedoch in ihrer Abschlussprüfung „Shoeman Being“ - ein Projekt, für das wir später den Folkwang-Preis erhielten - mitspielte, hatte ich das Gefühl, dass ich durch mein Studium noch nicht ausgelernt hatte. Ich brauchte etwas, das mir die nötigen Werkzeuge an die Hand gab, um mich auch über den Text hinaus auf der Bühne künstlerisch ausdrücken zu können. Deshalb suchte ich nach einem Studiengang, der neben dem klassischen Schauspiel auch Bewegung und Tanz miteinschloss, und so kam ich dann auf Physical Theatre.

Henriette: War es denn eine schwere Entscheidung für dich, deine Heimat zu verlassen, um in einem fremden Land zu studieren?

Faris: Ja, die Entscheidung war schwer. Im Januar 2016 war das Vorsprechen, auf das ich mich intensiv vorbereitet hatte. Ich hatte schon monatelang vorher an den Szenen gearbeitet, mich dann am Ende aber relativ spontan dazu entschieden, auch wirklich zur Aufnahmeprüfung zu gehen. Schlussendlich habe ich auch bestanden. Natürlich war das dann nicht einfach, immerhin verändert die Entscheidung ins Ausland zu gehen ja dein ganzes Leben, vor allem, wenn du ein Studienfach mit so unsicherer Zukunft studierst. Ich habe mich oft gefragt: Will ich das wirklich? Am Ende war ich mir aber sicher, dass es mein Traum ist.
Nur dann kam eben der Stress mit dem Visum. Ich sollte mein Studium im April 2016 beginnen. Zu der Zeit hatte ich allerdings nur ein Kurzvisum. Um eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen, musste ich 8000€ auf meinem Konto haben und auch zurück nach Palästina. Leider war es unmöglich in zwei Monaten so viel Geld zusammenzubekommen. Es war eine große Enttäuschung, dass ich deswegen meinen Studienplatz 2016 dann doch nicht annehmen konnte.
Die benötigten 8000 € habe ich schließlich durch Crowdfunding zusammengetragen. Ich habe ein Video von mir aufgenommen, in dem ich mich vorgestellt und mein Problem erläutert habe. Am Anfang konnte ich gar nicht glauben, dass fremde Leute wirklich anfingen mir Geld zu spenden. Ich war authentisch, deshalb glaubten sie wohl an mich. Manche spendeten 5€ und manche 100€. Nur aus diesem Grund konnte ich mein Studium im April 2017 antreten.

Henriette: Nun wohnst du ja schon seit gut einem Jahr in Deutschland. Was sind für dich die gravierendsten Unterschiede zwischen den beiden Ländern und Gesellschaften?

Faris: Ich glaube, der größte Unterschied liegt in der Gesellschaft selbst.
Bei uns in Palästina könnte man mit fast jedem auf der Straße einfach eine Unterhaltung anfangen. Man redet dann kurz miteinander und wünscht sich am Ende einen schönen Tag. In Deutschland wäre das einfach komisch. Die Menschen sind hier viel verschlossener.
Außerdem, so scheint es mir, kocht in Deutschland jeder ein bisschen sein eigenes Süppchen. Das ist nicht unbedingt etwas Schlechtes, ganz im Gegenteil: Gerade dadurch ist Deutschland so erfolgreich und stabil. Jeder konzentriert sich auf seine Fähigkeiten und trägt damit zur Gesellschaft bei.
In Palästina ist das ganz anders. Dort kochen alle gemeinsam eine Suppe.

Henriette: Gibt es etwas, das du hier in Deutschland besonders vermisst?

Faris: Das Wetter! Der Himmel hier ist immer so grau. Kein Wunder, dass die Deutschen manchmal so schlecht gelaunt sind… Nur ein kleiner Scherz!

Henriette: Hat Deutschland dich verändert?

Faris: Sicher. Ich meine, Deutschland hat ganz andere Gesetze, die ich respektiere und die mein Verhalten natürlich beeinflusst haben. Man könnte also schon alleine deshalb sagen, dass ich mich „deutscher benehme“. Außerdem hat sich natürlich auch meine Arbeitshaltung verändert. Ich bin jetzt viel verantwortungsbewusster, insbesondere, weil ich sehr viel über mich und meine Gefühlswelt gelernt habe, seit ich hier bin.
Zum Beispiel durch das Projekt mit meiner Freundin: Zwei Jahre haben wir unsere Skype-Gespräche von Palästina nach Deutschland aufgenommen und einen Film daraus gemacht. Und bei einem Gespräch - wir waren gerade am Reden - hört man im Hintergrund Bomben, die etwas außerhalb von Ramallah abgeworfen wurden. Sie begann sofort zu weinen, während ich lachte. Diese Bomben waren für mich normal geworden. Als ich aber später den Film sah, bekam ich diese seltsame Szene nicht mehr aus dem Kopf. Sie weinte, das Publikum weinte und ich - fühlte gar nichts. Da wurde mir klar, dass ich, wegen der fehlenden Distanz, jegliche Fähigkeit zu empfinden in Palästina verloren hatte. Ich musste diese Bombardierungen aus der Distanz betrachten, um sie als etwas nicht Normales und Trauriges zu sehen. Wegen meiner Nähe zu den Ereignissen schien es mir irgendwie als nicht so gefährlich.  
Plötzlich wurde ich mir meiner eigenen Sensibilität so bewusst. Du kannst nicht Schauspieler werden, wenn du nicht fähig bist zu empfinden.

Henriette: Bis ich meine Kommilitonin Amelie von Godin im letzten Oktober kennen gelernt habe, hatte ich noch nie von „Physical Theatre“ gehört. Um was geht es bei dem Studium?

Faris: Bei Physical Theatre geht es um Bewegung. Man lernt alle möglichen Dinge, von Masken über Akrobatik, Tanz und Stimme bis Pantomime. Ich denke, die Grundidee ist, sich vor allem durch Bewegung auszudrücken und nicht unbedingt nur durch den Text.

Henriette: Hast schon immer getanzt und geschauspielert? Auch schon der Schule?

Faris: Ja, aber in der Schule habe ich den Kunstunterricht generell nicht sonderlich ernst genommen. Ich habe damals nie über eine Schauspielkarriere nachgedacht. Das war eher Zufall…


Henriette: Zufall?

Faris: Das ist eigentlich eine ziemlich lustige Geschichte. Meine Eltern wollten, dass ich nach meinem Schulabschluss studiere aber ich dachte mir: „Nein!“ Deshalb bin ich absichtlich durch die Abschlussprüfungen gefallen. Dann sagte ich meinem Vater, dass ich eine Ausbildung zum Friseur machen möchte. Er erlaubte es mir unter der Prämisse, dass ich die Abschlussprüfungen wiederholte. Das habe ich getan und wurde dann Friseur. Ich hatte sogar einen eigenen Salon. Der Beruf hat mir sehr viel Spaß gemacht, immer mit verschiedenen Menschen zu reden und deren Geschichten zu erfahren, ich liebte es! Nach einiger Zeit sagten meine Eltern dann zu mir, dass ich mich noch weiterbilden müsse. Aus einer Art Protest heraus schlug ich vor, Schauspiel zu studieren - ein Fach, das man zu der Zeit in Palästina noch gar nicht studieren konnte. Zumindest glaubte ich das. Eines Tages kam jedoch mein Bruder nach Hause und erzählte mir von einer neuen Schule, die Schauspieler ausbildete. Nun muss man wissen, dass es in Palästina fast schon haram - nicht erlaubt - ist, Schauspiel zu studieren. Trotzdem war mein Vater von der Idee angetan und schickte mich zum Vorsprechen. Ich verdammte meinen Bruder. Zu meiner Überraschung wurde ich angenommen. Nach meinem ersten Studienjahr wollte ich sofort meine Koffer packen und wieder nach Hause fahren. Erst im zweiten Jahr konnte ich mich langsam mit dem Gedanken anfreunden, als Schauspieler zu arbeiten. Und nach dem dritten Jahr dankte ich meinen Eltern dafür, dass sie mich zu diesem Schritt gezwungen hatten.

> Folkwang StudiScout interview with Faris in English (PDF)

Ein Beitrag im Rahmen des Projekts „Folkwang StudiScouts“.

 

Henriette Lips / 10. Juli 2018