Folkwang

"Vom Glück des Anfangens"

Ein improvisierter Abend, der auf einem weißen Blatt beginnt


Studiscout Amelie von Godin besuchte am 6.1.2018 die Veranstaltung „Vom Glück des Anfangens“. Sie berichtet von Abenteuern, die das Ensemble um Henrietta Horn und das Publikum gemeinsam durchleben.

Vom glueck des anfangens folkwang

Foto: Amelie von Godin

 

Es fühlt sich ein bisschen an wie ein gemeinsamer Bergaufstieg. Gruppenweise laufen ZuschauerInnen die vielen Treppen zum Neuen Saal im Westflügel auf dem Campus Essen-Werden hinauf und man ahnt:
Diese Veranstaltung wird gut besucht sein.

Ich habe mich nicht getäuscht. Es sind an diesem Samstag, den 6. Januar, so viele Leute gekommen, dass im wahrsten Sinne des Wortes Einlassstopp herrscht. Gott sei Dank gelingt es mir, noch einen letzten Platz auf dem Boden zu ergattern, nicht zuletzt dadurch, dass ich mich als Folkwang StudiScout zu erkennen gebe. Die große Orgel auf einer Seite, von den anderen drei Seiten jeweils mehrere Reihen bestuhltes Publikum.

Es herrscht eine gespannte Stimmung im Raum. Der Bühnenraum in der Mitte ist komplett mit weißem Din-A4-Papier ausgelegt, der Boden unter dem Flügel in der Ecke mit Notenblättern.

Am Anfang jeder Improvisation steht immer das große „Noch nichts“

Es herrscht Stille. Dann ein Klang - Isabel Wamigs Gesang scheint aus der Orgel zu kommen. Nach und nach betreten die PerformerInnen das weiße Blatt Bühne, laufen durch den Raum und begegnen sich. Matthias Geuting tritt auf, mit einer unvergleichlichen Präsenz begibt sich der Musiker an die Orgel, fixiert ein Fußpedal und ein tiefer Ton erfüllt den Raum. Dann stellt er sich auf den Orgelhocker, zieht sein Jackett aus und wirft es in den Raum. Das ist der Anfang der Geschichte dieses Abends.

Das Eis bricht - Die Fassade bröckelt

Die PerformerInnen sind nun fast alle im Raum. Auf der Bühne: Henrietta Horn und Matthias Geuting, Lehrende an Folkwang, Léa Thomen, Jordan Gigout, Keisuke Mihara, Ying Yun Chen und Magdalena Öttl, Studierende und AbsolventInnen des Instituts für zeitgenössischen Tanz und Isabel Wamig, die aus Essen stammt und am „Institute of the Arts“ in Arnheim studierte, um dann zuru?ck in die Heimat zu ziehen. Da die Din- A4-Blätter nicht, befestigt sondern nur aufgelegt sind, ist der Boden wie das Eis auf einem gefrorenen See. Durch jede kleinste Bewegung der MoverInnen verändert die Bühne ihre Form. Es entstehen spannende Bilder, immer andere, interessante Figuren und Kreaturen. Keisuke Mihara beginnt das Papier zu Schneebällen zu knäulen und plötzlich ist das ganze Ensemble dabei. Die Idee wird verfolgt: eine große Schneeballschlacht.
Jede Idee wird ausgespielt bis die nächste entsteht. Wir erleben einen Schneesturm, eine Liebesgeschichte, einen Boxkampf. Es wird Papier gegessen und zwar so charmant und komödiantisch, dass Magdalena Öttl mehrere ZuschauerInnen verführt mitzuessen.

Es gibt viele lustige Momente und als ZuschauerIn hört man nie auf, Neues zu entdecken

Auch die klangliche und musikalische Ebene ist ganz organisch Teil der Erzählstruktur des Ensembles. Mal sehr experimentell, mal wird fröhlich ein Chanson auf dem Piano gespielt. Ein besonderes Klangerlebnis ist der Moment, als PingPong-Bälle in den offenen Flügel geworfen werden. Manchmal erklingt wunderbarer Gesang oder es kommt zu kurzen dialogischen Begegnungen. Es wird nicht unterschieden zwischen TänzerIn oder MusikerIn, alle PerformerInnen knüpfen gemeinsam den roten Faden, an dem sich das Publikum in aufregende Welten führen lassen darf.

Unaufhaltsam wird konstruiert und dekonstruiert

Es entstehen Bilder, es werden Grenzen gezogen und mit spielerischer Leichtigkeit wieder eingebrochen. Ying Yun Chen kämpft sich ab und „erstickt“ schließlich langsam an einem riesigem Papierball. Sie wird beerdigt, betrauert und erwacht dann wie der Phönix aus der Asche zu einem Tanz des Lebens.
Léa Thomen und Henrietta Horn, zuerst in einer sportlichen Konkurrenz, kommen zu einer intimen Contact Improvisation zusammen. Keisuke Mihara baut unterdessen eine Vogelscheuche, indem er sein T-Shirt mit Papier ausstopft und stellt diese der Gruppe als seinen Vater vor. „He is quite quiet“erklärt er, das Publikum lacht - ein skurriles Intermezzo.

Sicherlich ein Highlight des Abends ist der Moment, als Jordan Gigout einen solistischen Part mit einem kleinem Reiseradio erforscht. Geradezu genial, die Figur gerät während des Suchlaufs des Radios förmlich unter Strom und wird mit jedem Switch zu der Verkörperung des laufenden Programms.

Als langsam die Scheinwerfer ausgehen, müssen die PerformerInnen sich gegenseitig von der Bühne ziehen. Magdalena Öttl will noch lange nicht gehen, auch Matthias Geuting spielt selbst noch im Dunkeln weiter an der Orgel.
Doch irgendwann ist sie dann vorbei, die Improvisation, und das Publikum jubelt.

 

Ein Beitrag im Rahmen des Projekts „Folkwang StudiScouts“.

 

Foto: Amelie von Godin

 

Amelie von Godin / 23. Januar 2018