Folkwang

In der Zwischenzeit - Amelie berichtet von ihrem Job bei der Ruhrtriennale 2018

Neben meiner Schreiberei bei den StudiScouts studiere ich Physical Theatre an Folkwang und habe im August 2018 bei einem Projekt von Schorsch Kamerun im Rahmen der Ruhrtriennale mitgespielt. Wie es dazu kam und was für Erfahrungen ich gesammelt habe, erfahrt ihr in diesem Bericht.

Amelie im Schwanenkostüm | Foto: privat

Amelie im Schwanenkostüm | Foto: privat

 

Über eine Plattform im Internet, über die Open-Calls für darstellende Künstler*innen geteilt werden, erfuhr ich von der Ausschreibung:

Ein Künstler namens Schorsch Kamerun suchte ein Ensemble für sein Projekt „Nordstadt Phantasien“, das im Rahmen der Ruhrtriennale 2018 in Dortmund in der Nordstadt stattfinden sollte.


Schorsch Kamerun ist Gründungsmitglied und Sänger der Hamburger Band „Die Goldenen Zitronen“. Außerdem gehört ihm zusammen mit Rocko Schamoni in Hamburg der „Golden Pudel Club“. 2000 begann er immer mehr als Theaterregisseur tätig zu sein und inszenierte unter anderem am Deutschen Schauspielhaus Hamburg, am Schauspielhaus Zürich, an den Münchner Kammerspielen, an der Volksbühne Berlin und bei den Wiener Festwochen.

All das wusste ich noch nicht, als ich meine Bewerbung abschickte. Um ehrlich zu sein hatte ich keine Ahnung, wer Schorsch Kamerun ist. Ich kannte zwar „Die Goldenen Zitronen“, brachte das aber noch nicht zusammen.
Ich hetzte, der Verlässlichkeit des öffentlichen Nahverkehrs in NRW geschuldet, in das Büro der Kultur Ruhr GmbH und traf dort auf eine kleine Gruppe Bewerber*innen. Die meisten etwas älter als ich, unter ihnen Theaterwissenschaftler*innen, freie Künstler*innen, ein Filmkollektiv und ein ziemlich cooles Pärchen mit vielen selbst gestochenen Tattoos. Schorsch Kamerun stellte sich nur als Schorsch vor, machte keinen großen Wirbel um seine Person und erklärte, dieses Projekt werde von Anfang an ein kollektiver Arbeitsprozess sein. Es gebe ein Setting und ein Konzept, dennoch wisse er selbst noch nicht, wohin die Reise gehen werde.
Zugegeben, wir waren alle nicht wegen des Geldes hier. Sowohl Schorsch als auch die Produktion entschuldigten sich von Anfang an dafür, dass es als Vergütung nur eine Aufwandsentschädigung geben werde.

Das Projekt fand im öffentlichen Raum statt. Genauer gesagt an einer ganz normalen Straßenecke im „Problemviertel“ Dortmunds, der Nordstadt.


Ein Gemüseladen, ein Kiosk, eine Kneipe und eine Spielothek gegenüber eines kleinen Parks, in dem sich immer die gleichen Gesichter zum Biertrinken treffen. Das war der Status Quo.

Das Thema war Gentrifizierung. Die Phantasie in Kameruns Titel „Nordstadt Phantasien“ ist wohl eher eine grausame Prophezeiung. Was würde passieren, wenn ein Investor das Potenzial der Nordstadt entdeckt und das tut, was ein Investor tun, nämlich investieren. Was würde sich für die Menschen dieser Straße verändern?
Die Gentrifizierung ist wie eine Fluch, der fast alle Großstädte sowohl national als auch international befallen hat. München, meine Heimatstadt, ist sozusagen schon in der Post-Gentrifizierung, Städte wie Berlin erlebten es in den letzten zehn Jahren rasant. Mieten werden höher, Viertel verändern sich. Es wird eben nicht nur erneuert, es wird aufgewertet.
Man spürte, Schorsch Kamerun hat seine eigene Leidensgeschichte mit diesem Thema. Er selbst lebte in dem berühmten Viertel Sankt Pauli in Hamburg, als das Viertel „noch den Künstler*innen, und den Drogenabhängigen gehörte“. Bevor es zur Marke, zur „Lifestyle-Brand“ wurde.
Ziel der Inszenierung, die das Publikum wie einen Stummfilm aus einem kühl designten Glaskasten betrachtet, untermalt von Liedern und Texten von Schorsch Kamerun und PC Nackt, ist es, das normale Geschehen auf der Straße erst mit kleinen, alltäglichen, dann mit immer größeren, teilweise realen, teilweise absurd anmutenden Aktionen zu konfrontieren.

Wir Nordstadt Phantast*innen als Guerilla-Aktivist*innen in unserem „Backstage Truck“ warten auf unsere Stichwort. | Foto: privat
Mission erfolgreich abgeschlossen - Das Publikum ist noch hinter schwarzem Plastik und verfolgt das Szenario über eine Videoübertragung. | Foto: privat
Schorsch Kamerun und das Ensemble bei einer Stellprobe auf der Felherrnstraße in Dortmund. | Foto: Amelie von Godin
Das Bühnenbild zwei Tage vor der Premiere, kurz vor der letzten Abnahme. | Foto: Amelie von Godin
Foto: Amelie von Godin
Foto: privat
Foto: privat
Foto: privat

Als die Proben im Hochsommer Anfang August begannen, war die Stimmung gelassen, aber voller Vorfreude.


Das Ensemble bei der ersten Probe war ca. 15 Mann/Frau groß. Es wuchs allerdings von Probe zu Probe. Der Prozess war tatsächlich ein gemeinsames Entdecken, Herumalbern und Ausprobieren.
Geprobt wurde ca. drei mal die Woche, nachmittags, für maximal drei Stunden. Auffallend, neben diesen extrem ungewöhnlichen Probenzeiten, war ein sehr großes, familiäres Team, das spatenübergreifend arbeitete. Nicht nur Schorsch Kamerun selbst kam immer mit seinem Sohn zu den Proben, überall waren Kinder und Hunde, Mitarbeiter*innen und Techniker*innen, die sich aus der Szene kennen. Ich war entzückt, fühlt es sich also so in der Hochkultur an? Schließlich ist die Ruhrtriennale eines der wichtigsten Kultur- und Theaterfestivals Deutschlands.

Im Prozess kristallisierte sich immer mehr eine Szene heraus, für die ich, aufgrund meines Backgrounds im Physical Theatre, die Verantwortung übernahm. Eine satirische Interpretation einer Kunstperfomance der Hochkultur, angelehnt an das Ballett „Schwanensee“ zu experimenteller Musik. Da wir für die Szene noch zwei weitere Tänzer*innen brauchte, konnte ich meine Kommiliton*innen Minju Kim (Physical Theatre) und Aljeandro Fernandes (Musical) mit ins Team holen.

Abgesehen davon, dass wir die Möglichkeit bekamen außerhalb des Hochschulrahmens zusammen zu arbeiten und Gelerntes anzuwenden, freundeten wir uns auch mit den anderen im Team immer mehr an, tatsächlich sind aus diesen Begegnungen schon mehrere andere Projekte entstanden. Die Premiere wurde mit einem rauschenden Fest gefeiert.
Danach folgten weitere Spieltermine. Auch das war eine neue Erfahrung für mich. Es war spannend zu sehen, wie das Stück lebte, sich von mal zu mal veränderte. Zu erkennen, dass man immer wieder Neues entdeckte, aber auch gewisse Momente verloren gingen.

Das Schönste waren jedoch die Begegnungen mit den Bewohner*innen der Straße.


Schon während des Probenprozesses haben wir nicht nur Zuschauer*innen, sondern ganze Cliquen von Kindern, die uns erst skeptisch beäugten dann aber mitmachen wollten. Schorsch Kamerun positionierte sich ganz klar: „Lasst sie mitmachen“. Eine weise Entscheidung, denn es wäre fatal gewesen die Kids der Nordstadt nicht auf unserer Seite zu haben. Es war unglaublich schön zu sehen, wie viel Spaß die Kinder an der Inszenierung hatten. Ihnen ging es nicht um Theater, um Kunst oder berühmte Namen, sie fanden es einfach wahnsinnig cool mitmachen zu dürfen, ein Teil dieses Spektakels zu sein und sich am Ende vor dem applaudierenden Publikum zu verbeugen.
Und daran sollte ich mich als Kunststudentin immer wieder erinnern.  

 

Ein Beitrag im Rahmen des Projekts „Folkwang StudiScouts“.

 

Amelie von Godin / 18. Januar 2019