Folkwang

Folkwang... und dann? Mit Leonie Reineke

Es ist halb elf nachts, in der Ferne hört man Kirchenglocken dies kommunizieren, draußen ist es schon seit längerem dunkel, und ich sitze in meinem Zimmer am Schreibtisch. Normalerweise würde ich um diese Uhrzeit höchstens ein bisschen Zeitung, einen Roman lesen, oder dumme Videos auf YouTube schauen.

 

Aber heute ist es anders, ich bin zu einem Telefonat verabredet. Und zwar mit der Radiojournalistin Leonie Reineke. Nach einem langen Arbeitstag hat sie nun Zeit meine Fragen zu ihrem Folkwang-Studium der Musikwissenschaft und anschließenden Berufsleben zu beantworten:

Leonie Reineke, Foto: Rebecca ter Braak

Leonie Reineke, Foto: Rebecca ter Braak

 

Robert: Hallo Leonie, schön dass du dir für meine Fragen Zeit genommen hast! Zum Einstieg möchte ich dich fragen, was du beruflich genau machst und wie es dazu gekommen ist?

Leonie Reineke: Ich bin beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk Musikredakteurin, Autorin und Moderatorin. Ich arbeite hauptsächlich im Bereich der Neuen Musik. Für diese Sparte habe ich eine halbe Stelle als Redakteurin bei SWR2, die zweite Hälfte meiner Arbeitszeit verbringe ich als freie Autorin für verschiedene Sender, hauptsächlich beim Deutschlandfunk und Deutschlandfunk Kultur sowie anderen ARD-Anstalten. Mein Weg dahin war nicht ganz linear. Angefangen hat er nach dem Abitur mit dem Studium Musikwissenschaft, mit Hauptfach Gesang, an der Folkwang. Im Master habe ich dann nur noch Musikwissenschaft studiert. Es war für mich klar, dass diese analytische und wissenschaftliche Seite der Musik mich total interessierte.

Der Weg zum Radio ist in meinem Fall auf eine gewisse Art logisch: Ich habe schon immer gerne über Musik gesprochen. Dabei fand ich den Gedanken, dass Texte in irgendwelche Zeitschriften oder Sammelbänden in Bibliotheken verschwinden, nicht attraktiv. Ich fand es schon immer schön, eine Art von Bühne zu haben. Das Radio hat nicht nur das, sondern auch ein Publikum. Weil es ein Hörmedium ist, kann man dort im Grunde auch komponieren. Eine Sendung zu erfinden und zu bauen hat ja etwas mit Komponieren, Kreativität und Technik zu tun.

Mein Einstieg in die Berufswelt war ein fließender Übergang. Ich bin nicht eine von denen, die schon sehr früh mit Praktika und Berufsorientierung angefangen hat. Ich hatte erstmal Lust ganz lang „rumzustudieren“ und Wissen aufzusaugen. Irgendwann wurde dieses Radiothema für mich relevant und ich habe angefangen in dem Bereich Praktika zu machen. Das war noch während des Masters. Ich habe sogar vor meiner Masterarbeit ein halbes Jahr als Redakteurin eine Vertretung beim Deutschlandradio in Berlin gemacht. Mit dieser Hundert-Prozent-Stelle war das also schon ein richtiges Berufsleben. Erst dann habe ich meine Masterarbeit geschrieben. Ich habe alles sehr sanft ineinander übergehen lassen.

Robert: Für Neue Musik interessieren sich ja eher wenige Musikwissenschaftler*innen an  Folkwang. Wie ist es eigentlich dazu gekommen, dass du in diesem Bereich arbeitest und wieso interessiert dich gerade die Neue Musik?

Leonie Reineke: In der Schule habe ich schon gemerkt, dass Neue Musik mich total fasziniert. Da haben wir zwar wenig Neue Musik gemacht, aber wenn das Thema vorkam, war ich eine der wenigen, die irgendwie beeindruckt war. Viele andere haben von vornherein entschieden, dass es ihnen nicht gefällt. Das hat mich total gewundert. Es ist schon irgendwie crazy, wenn man als Teenager so ein Stück wie Karlheinz Stockhausens „Kontakte“ hört... Das ist nicht vergleichbar mit irgendetwas, das man kennt. Aber für mich waren das Schockerlebnisse, die ich immer toll fand. Sie waren auf eine ganz produktive Weise erschütternd.

Ich bin dann aber noch nicht direkt auf die Idee gekommen, weiter zu recherchieren und zu gucken, was es da noch so gibt. Im Musikwissenschaftsstudium fand ich erst mal alles interessant, aber langsam kristallisierte sich wieder mein Interesse für Neue Musik heraus, die da natürlich auch vorkam. Als Referate zu dem Thema vergeben wurden, habe ich immer die Hand gehoben.

Das Interesse hat sich ganz langsam und organisch entwickelt, aber irgendwann habe ich gemerkt, dass die Neue Musik der unerschöpfliche Quell ist, aus dem ich neue Dinge lernen kann und der ja nie versiegt. Das hat sich im Zuge des Bachelors zugespitzt, bis es mir im Master klar wurde: Das ist genau mein Ding.

 

Robert: Und die Neue Musik hast du dann ja in deinen Beruf mitgenommen. Beeinflusst dein Studium an der Folkwang deinen Arbeitsalltag?

Leonie Reineke: Ja, ich könnte meinen Beruf nicht so ausüben, wenn ich das Studium nicht gemacht hätte. Klar, man lernt im Radio vieles nach dem Prinzip learning by doing. Vor allem in meinem Fall, da ich bis dahin nur Praktika und keine journalistische Ausbildung gemacht hatte. Dann muss man natürlich noch viel an Handwerk lernen. Aber die Inhalte, mit denen ich mich beim Radio befasse, könnte ich wahrscheinlich nicht so souverän präsentieren, wenn ich das Studium nicht gemacht hätte. Auf jeden Fall beeinflusst es den Arbeitsalltag. Das ist ein irrsinniger Input, den man da bekommt oder bekommen kann, und ich denke jetzt im Nachhinein, dass ich noch mehr freiwillige Fächer – so wie ich es später noch am ICEM getan habe – hätte mitnehmen können.

 

Foto: Leonie Reineke
Foto: Susanne Elgeti


Robert: Nun zur Millionenfrage (oder nicht). Kannst du in finanzieller Hinsicht davon leben?

Leonie Reineke: Wenn man zum Radio geht, sich da ins Zeug legt, gute Arbeit macht und dadurch auch Aufträge bekommt, kann man auf jeden Fall davon leben. Ich würde behaupten: Ich habe finanziell ein gutes Leben. Klar, man wird dadurch nicht reich. Aber ich habe das Gefühl, dass ich in dieser Coronazeit zum Beispiel im Vergleich zu meinen Künstler*innenfreunden immer noch gut da stehe. Es ist echt eine Heidenarbeit und super anstrengend. Am Anfang habe ich auch nicht so gut verdient: Da war ich einfach noch nicht so effizient. Aber später geht es, obwohl es noch immer viel Arbeit ist.

Robert: Du hast kurz Corona erwähnt. Was hat sich dadurch in deinem beruflichen Leben verändert?

Leonie Reineke: Auf der persönlichen Ebene habe ich teilweise unter der Isolation gelitten, das ging ja vielen so. Auf der beruflichen Ebene hat sich auch vieles verändert, weil natürlich alle Veranstaltungen, alle Festivals für Neue Musik und berufliche Reisen weggefallen sind. Ich war vorher daran gewöhnt, viel zu reisen. Aber ich hatte noch Glück: Das Radio wurde ein bisschen bedeutsamer in den letzten Monaten. Wir mussten die Sendeplätze sowieso füllen und somit hatten wir trotzdem etwas zu tun. Dadurch, dass Veranstaltungen weggebrochen sind, fehlten uns allerdings auch Sendeinhalte. Dafür haben wir dann Ersatzprogramme angeboten. Beim SWR haben wir zum Beispiel haben kleine Produktionen gemacht, Solo- Musiker*innen und Duo-Besetzungen eingeladen, um deren Stücke aufzunehmen und zu produzieren. Danach haben wir sie gesendet.

Robert: Ich habe noch eine letzte Frage. Hast du einen Rat für jetzige Musikwissenschaftsstudierende?

Puh, schwierige Frage. Was ich in Bezug auf eine Stelle im Journalismus sagen kann: Wenn jemand zum Radio gehen will, kann ich das nur empfehlen. Vor allem, wenn es um Neue Musik geht. Wir haben viele Sendeplätze für Neue Musik und freuen uns immer über neue junge Leute. Ich bin immer noch überall eine der Jüngsten, viele meiner Kolleg*innen sind um die fünfzig und wir brauchen da Nachwuchs. Was aber wichtig ist zu wissen: Man muss sich echt reinhängen und dran bleiben. Niemand kommt und sagt dir: „So jetzt mach mal“. Man muss sich wirklich dahinterklemmen. Das war zumindest meine Erfahrung. Deshalb glaube ich, dass man diesen Beruf auch sehr wollen muss. Aber die Leute sind meiner Meinung nach nett und nicht so verrückt wie zum Beispiel am Theater!

Vielen Dank Leonie für das Interview und deine Zeit, bis bald!

 

Ein Beitrag im Rahmen des Projekts „Folkwang StudiScouts

 

Robert Beseler / 20. Oktober 2020