Folkwang

Folkwang ist... Prof. Nadia Kevan

Folkwang hat viele Gesichter, von denen jedes einzelne dazu beiträgt, dass Folkwang ist, wie es ist. StudiScout Camilla Gerstner sprach mit Nadia Kevan, Professorin für Bewegungslehre und Körperbewusstsein sowie Lehrende der „Alexander Technik“ und erzählt, warum sie für sie persönlich und für viele andere einen unverzichtbaren Teil von Folkwang darstellt.

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Prof. Nadia Kevan | Foto: Robert van Sluis

Prof. Nadia Kevan | Foto: Robert van Sluis

 

Eigentlich wurde Nadia auf den Namen Diana getauft. Aber als sie mit 19 Jahren als Tänzerin aus England nach Deutschland kam, gab es in ihrer Kompanie bereits eine junge Frau namens Diana. Der Leiter der Tanzkompanie fragte sie daraufhin, ob sie sich für die Bühne vielleicht einen anderen Namen geben könne. In einem Restaurant schrieb ihre Mutter den Namen „Diana“ auf eine Serviette und vertauschte die Reihenfolge der Buchstaben. „Im Nachhinein“, erzählt Nadia, „war ich sehr froh. Denn ein paar Jahre später hatte mein Heimatland eine weltberühmte Diana und ihr Name war überall!“

Nadia Kevan arbeitete als Tänzerin und Performerin in zahlreichen deutschen Stadt- und Staatstheatern, sowie als Choreografin in vielen internationalen Projekten. Sie unterrichtet nach der Lehre von Frederick Matthias Alexander, der so genannten „Alexander Technik“, und bildet selbst Lehrende in dieser Technik aus.

Als Regie Studentin habe ich das Glück, von Nadia in der Alexander Technik unterrichtet zu werden. Nach zwei Jahren an Folkwang bin ich davon überzeugt, dass sie eine der engagiertesten Lehrenden und Menschen ist, die ich in meinem Leben getroffen habe.
Mit diesem kleinen Interview hoffe ich, einen kleinen Eindruck von ihrer Person und ihrer Arbeit geben zu können.


Warum unterrichtest du darstellende Künstler*innen?

Alle Künstler*innen haben etwas gemeinsam: Eine besondere, intensivere Art der Wahrnehmung, als man sie normalerweise für das alltägliche Leben braucht. Sie müssen dazu in der Lage sein, Dinge sehr genau zu sehen, zu durchschauen und zu fühlen. Sie müssen Verbindungen schaffen zwischen Erfahrungen, Situationen und Ereignissen, über die andere Menschen vielleicht selten nachdenken. Ich war immer davon überzeugt, dass unser Körper das Instrument ist, mit dem wir diese Dinge ausdrücken. Wenn man etwas sehr genau wahrnehmen möchte, braucht man ein absolut exaktes, hoch empfindliches Instrument. Es spielt keine Rolle, ob du Musik machst, performst, singst, tanzt – dein Energie-Level sollte hochgeschraubt sein.


Woher kommt dein besonderes Interesse für diese Arbeit?

Ich war immer eine Künstlerin und ich stand immer auf der Bühne. Mit 16 Jahren fing ich an, Ballettunterricht zu geben, um mein Studium zu finanzieren. Ich liebe es zu unterrichten, weil ich es liebe, jungen Menschen einen Zugang zu einer höheren Energie, einer sensibleren Wahrnehmung und einer freieren Ausdrucksmöglichkeit zu vermitteln.

Meine Mutter hatte ein kleines Amateurtheater in der Stadt, in der ich aufwuchs. Oft fragte ich mich: Wie bekommt man es hin, dass eine Person auf der Bühne das Interesse der Zusehenden gewinnt? Meine Mutter war dazu in der Lage, den Darsteller*innen exakt zu beschreiben, was sie tun, warum sie es tun und wie sie sich dabei fühlen. Sie benutzte die Einrichtung unseres Hauses für ihre Bühnenbilder und manchmal kam ich nach Hause und alle Stühle waren weg. Wenn ich dann zu dem Theater ging, in dem sie arbeitete und sich der Vorhang öffnete, sah ich diese Stühle auf der Bühne und sie sahen dort viel größer und wichtiger aus. Es faszinierte mich, wie etwas ohne den ursprünglichen Kontext plötzlich ganz anders wahrgenommen werden kann. Das Theater erweckt unsere Wahrnehmung auf eine neue Weise.


Was macht eine*n gute*n Lehrer*in für dich aus?

Ein sehr wichtiger Aspekt beim Lehren ist die Unterstützung junger Menschen. Ich habe viel Zeit meines Lebens damit verbracht, darüber nachzudenken, wie ich ihnen dabei helfen kann, sich selbst zu entdecken – wer sie sind und was sie tun wollen. Von einigen Lehrer*innen hörte ich oft: „Mach dies, tu das!“. Und manchmal muss man so etwas sagen. Aber ich verfolge einen anderen Ansatz. Denn eigentlich haben die Studierenden alles, was sie brauchen. Ich verfolge diese Prozesse sehr engagiert. Ich kann nicht sagen, ob ich eine gute Lehrerin bin, aber die Veränderungen, die ich bei den Studierenden beobachte, sind meistens sehr positiv. Es ist mir sehr wichtig, jungen Menschen zu ermöglichen ihre Angst zu reduzieren und ihren eigenen Wert zu erkennen. Man verschwendet so viel Energie damit, sich mit anderen zu vergleichen.


Warum arbeitest du mit der „Alexander Technik“?

Ich habe mich mit vielen Techniken beschäftigt, die Körper und Geist verbinden sollen. Die „Alexander Technik“, auf die ich mich spezialisiert habe, zeigte mir, wie man den Körper am besten auf die höchste Leistung vorbereiten kann. Die Frage, die wir uns als Performer*innen stellen müssen, lautet nicht: „Wie mache ich es richtig?“, sondern: „Wie gehe ich mit mir um, wie nehme ich mich wahr, was gibt mir Stabilität, Freiheit, Selbstvertrauen?“ Dadurch erreicht man eine bessere Selbstwahrnehmung. Dabei spielt es keine Rolle, welche Form der Kunst die Studierenden gewählt haben. Jeder Mensch sollte die Möglichkeit haben, bewusst mit sich umgehen zu können, in jedem Moment.

Als ich meine Ausbildung zur „Alexander“-Lehrerin in der Mitte meiner Tanzkarriere begann, fand ich schnell heraus, dass eine gewisse Art von Körperbewusstsein bereits erforderlich ist, bevor man sein tägliches Training überhaupt beginnt. Es ist das Bewusstsein für den Körper, welches die Basis jeder Technik und jeder Methode bildet. Mich interessierte dieser „natürliche Körper“, wobei ich damit nicht meine, dass man den Körper „zurück zur Natur“ bringen sollte, sondern dass man verstehen muss, wie sich der menschliche Körper über die Zeit entwickelt hat und wie er seine volle Kraft entwickeln kann. All das beeinflusst die individuelle Art zu leben und zu denken.


Also geht es nicht so sehr um eine bestimmte Methode für Künstler*innen, sondern für jeden Menschen?

Genau. Aber ich denke, Künstler*innen brauchen sie ganz besonders. Ich habe bereits mit sehr vielen Menschen gearbeitet, aber ich finde die Folkwang Studierenden besonders sensibel und offen. Aber je sensibler und offener du bist, desto mehr musst du dafür sorgen, dass du weißt wie du mit dir umgehst, wie du dich schützt, deine Sensitivität wertschätzt und für deine Profession nutzen kannst. Ich denke, die Welt braucht eher mehr sensible Menschen, nicht weniger! Aber ich weiß auch, dass sensible Menschen sehr leiden können. Sie werden verletzt, sie sind schnell verwirrt, sie vergleichen sich mit anderen Menschen, sie fühlen sich nicht gut genug. Und das sind oft unsere talentiertesten Studierenden. Ich denke, ich kann etwas dazu beitragen, dass diese Studierenden sich stärker fühlen. Ich kann ihnen ein paar Wege zeigen, wie sie selbstbewusst im Leben stehen können.

Wir alle sind beeinflusst von negativen, emotionalen Einflüssen durch die Gesellschaft, durch unsere Schulen, unsere Familien und so weiter. Uns sind in der Vergangenheit Dinge passiert, die unser Gefühl für den eigenen Selbstwert gehemmt haben. Aber einige von uns sind unglaublich talentierte Künstler*innen und unsere Gesellschaft braucht diese Menschen.


Warum gibt es noch immer dieses Klischee von Künstler*innen als gebrochene Persönlichkeiten?

Das basiert auf einem Missverständnis bezüglich der Natur von Kunstschaffenden und ihrer Arbeit, welches zu einer Legende wurde. Es mag in einigen Fällen wahr sein, aber es ist definitiv nicht die Regel. Wenn Künstler*innen auf die Bühne gehen, performen, musizieren oder schreiben, möchten sie einen persönlichen Ausdruck für menschliche Erfahrungen finden, der zutiefst komplex, verborgen oder widersprüchlich sein kann. Es wird immer zwei oder mehr widersprüchliche Themen geben, die auf der Bühne vereint werden müssen. Wir bekommen Schwierigkeiten, wenn wir uns nur mit bestimmten Teilen von uns selbst identifizieren und diejenigen Teile, die wir nicht erkennen, unser Verhalten auf destruktive Weise dominieren. Aber als Künstler*in mit einem intensiven, emotionalen inneren Leben kann man lernen, alle Teile auf eine Weise zu verkörpern.

Die Studierenden müssen lernen, wie sie ihr inneres Gleichgewicht und das Gleichgewicht in ihrem Leben finden. Aber man muss genug psycho-physische Kraft verkörpern, um „die Gegensätze zu halten“. Natürlich sollten sie in der Lage sein, sehr tief in jede Emotion einzudringen, aber sie sollten die Kompetenz haben, zu verhindern, dass Sie davon überwältigt werden. Studierende brauchen keine Hilfe, weil sie „schwierig“ oder „weniger fähig“ sind, sondern weil sie sensibel und begabt sind. Unsere Studierenden sind kraftvoll.
Und Folkwang ist… kraftvolle Kunst und immer mit Seele!

Ein Beitrag im Rahmen des Projekts „Folkwang StudiScouts“.

 

Camilla Gerstner / 31. März 2020